„… weil es ist ja ein marginaler Bereich“

1 Ausgangsüberlegungen

Politische Erwachsenenbildung ist durch ein Paradox gekennzeichnet. Auf der einen Seite wird ihr zugeschrieben, einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der Demokratie, zur Teilhabe und damit auch zu gesellschaftlicher Integration und für den Zusammenhalt zu leisten (vgl. Hufer 2016). Vor diesem Hintergrund hat sich eine institutionelle Struktur aus Einrichtungen in öffentlicher, freier und alternativer Trägerschaft herausgebildet, die auch durch Weiterbildungs- und Bildungsurlaubsgesetze in den Bundesländern gestützt wird (vgl. Hufer 2005). Auf der anderen Seite ist die Teilnahme an Veranstaltungen der organisierten politischen Erwachsenenbildung vergleichsweise gering (vgl. ebd.). Aus Nachfrageperspektive kann daher von einem marginalisierten bzw. zumindest von Marginalisierung bedrohtem Bereich der Erwachsenenbildung gesprochen werden. Der Diskurs der Subdisziplin ist in sich geschlossen (vgl. Scheidig 2022) und mithin stark von normativen Debatten geprägt, die sich nicht zuletzt darum drehen, aufgrund welcher Argumente das Fach einen Bedeutungsverlust im Programmspektrum von Erwachsenenbildungseinrichtungen verhindern kann.

Als lückenhaft wird allgemein die empirische Befundlage zur politischen Erwachsenenbildung gekennzeichnet, wobei im Besonderen Analysen zu konkreten Maßnahmen und Programmen als Desiderat benannt werden (vgl. ebd.). Dieses Desiderat wollen wir im vorliegenden Beitrag aufgreifen, indem wir mit Blick auf das Bundesland Hessen rekonstruieren, wie sich die Begründung, Aufrechterhaltung und Veränderung der Angebotsstruktur realisiert.

Im Jahre 2016 wurde in Hessen der erste Weiterbildungspakt zwischen dem Land Hessen und den Einrichtungen der Weiterbildung in öffentlicher Trägerschaft sowie den landesweiten Organisationen der Weiterbildung in freier Trägerschaft geschlossen. Mit der Veröffentlichung der Förderrichtlinie im März 2017 wurde die zweite Säule der Projektförderung des ersten Weiterbildungspaktes aktiviert und zum Einreichen von Projektanträgen aufgefordert. Die mit Abstand größte Zahl der genehmigten Projekte widmete sich dem Handlungsfeld der politischen Bildung Erwachsener (vgl. LAKU 2022, S. 93). Infolgedessen ist naheliegend, dass dieses Handlungsfeld als Ganzes – zumindest innerhalb dieses Bundeslandes – gegenwärtig eher einen prominenten Status als eine Randexistenz in der Weiterbildungslandschaft genießt. Unklar ist allerdings, welche feldinterne(n) Begründungslogik(en) mit dieser Momentaufnahme korrespondiert bzw. korrespondieren. Wir nehmen diese Entwicklung zum Anlass, die Verfasstheit des Handlungsfeldes politischer Erwachsenenbildung in Hessen genauer zu untersuchen.

Konkret steht dabei die Frage nach zwei konstituierenden Aspekten des Feldes im Fokus: Zum einen geht es darum, einen Blick auf Themenkonjunkturen zu werfen, d. h. danach zu fragen, welche Inhaltsbereiche und Aufgabenverständnisse im Zuge der Projektförderung des ersten Weiterbildungspaktes besonders deutlich hervortreten. Zum anderen geht es darum, erste Konturen eines Erklärungsansatzes dafür zu entwickeln, wie sich Themen und Themenkonjunkturen begründen und Relevanz­setzungen vonstattengehen. Der Beitrag versteht sich damit als Ergänzung des „Weiterbildungsberichts Hessen 2021“ und greift auf in diesem Zusammenhang erhobenes, qualitatives Datenmaterial zurück. Im Folgenden werden wir zunächst darstellen, wie wir methodisch an das dem Bericht zugrunde liegende Untersuchungsdesign anknüpfen, indem wir mit der neuen Schwerpunktsetzung im Erkenntnisinteresse die bereits gewonnenen Ergebnisse neu strukturieren und erweitern (2). Anschließend zeichnen wir nach, welche Befunde durch diese modifizierte Analyseeinstellung gewonnen werden konnten (3). Der Beitrag schließt mit einem resümierenden Ausblick (4).

2 Datenbasis und methodisches Vorgehen

Das empirische Fundament der vorliegenden Untersuchung bilden neun leitfadengestützte Experteninterviews, die im Zuge der Ausarbeitung des hessischen Weiterbildungsberichts (vgl. LAKU 2022, S. 104 ff.) geführt wurden. Im Anschluss an Meuser und Nagel (vgl. 2009) wurden Personen als Expertinnen und Experten betrachtet, die im Hinblick auf ein spezifisches Handlungsfeld – hier: die politische Erwachsenenbildung in Hessen – über einen privilegierten Zugang zu Informationen verfügen und überdies eine spezifische Verantwortung und Kompetenz für Problemlösungen aufweisen. Für eine möglichst umfassende Perspektive auf den Gegenstandsbereich wurden zum einen Beteiligte an der Konzeption des Weiterbildungspaktes befragt, zum anderen planend-disponierende Akteurinnen und Akteure aus Weiterbildungseinrichtungen in öffentlicher und freier Trägerschaft. Für alle Institutionen, die die Befragten repräsentieren, gilt, dass politische Bildung einen zentralen, wenn nicht gar exklusiven Stellenwert im von ihnen angebotenen Programmspektrum innehat. Die Erhebungen wurden Ende des Jahres 2021 über ein Videokonferenzsystem geführt (Minimum = 16 Min.; Maximum = 71 Min.; durchschnittliche Dauer = 28 Min.) und die Audiospuren anschließend durch Transkription für eine inhaltsanalytische Auswertung aufbereitet.

Die im Weiterbildungsbericht entfaltete Ergebnisdarstellung orientierte sich an der Chronologie des Interviewleitfadens und veranschaulichte Expertenperspektiven auf für die politische Erwachsenenbildung bedeutsame Entwicklungen im Zuge des ersten Weiterbildungspaktes (2017–2020), gegenwärtige Einschätzungen kurz nach Inkrafttreten des zweiten Paktes (2021–2025) sowie Prognosen hinsichtlich der darüber hinausgehenden Zukunft (vgl. LAKU 2022, S. 105 ff.). Um ferner einen Beitrag zur Beantwortung des eingangs formulierten Fragenkomplexes zu leisten, wurden die Aufmerksamkeitsrichtungen der empirischen Analyse neu justiert. Das Vorgehen entspricht damit einer Mischform aus supra und supplementary analysis (vgl. Medjedović 2014, S. 23). Infolgedessen wurden die Bezugs- bzw. Ankerpunkte, die im empirischen Material im Zuge der Benennung und Begründung von Themen, Aufgaben und ihren Realisierungsbedingungen auftauchen, zunächst im Sinne einer ersten induktiven Kategorienbildung paraphrasiert und generalisiert (vgl. Mayring 2015, S. 69 ff.). Anschließend wurden sie nach drei Dimensionen geordnet, die sich aus dem oben nachgezeichneten Interesse an konstituierenden Aspekten des Feldes ableiten lassen:

Erstens wurde eine zeitliche Dimension angelegt, innerhalb derer etwa nach feldtypischen Themen und Aufgaben als relativ gleichbleibend und dauerhaft bzw. als singulär und zeitgebunden unterschieden wurde.

Zweitens wurde eine örtliche Dimension an das Material angelegt, wobei beispielsweise globale Trends oder lokale Besonderheiten in ihrer Bedeutung für Themenkonjunkturen und die Begründung von Aufgaben fokussiert wurden.

Drittens floss auch eine institutionell-strukturelle Dimension in die Analyse ein. Bedeutsam sind hier etwa der Förderrahmen oder organisationale Bedingungen, die im Zusammenhang der (Einschätzung der) Realisierbarkeit von Angeboten stehen.

3 Darstellung und Diskussion der Ergebnisse der (Re-)Analyse

Um nachvollziehbar zu machen, welche Rolle die o. g. Dimensionen für die Entwicklung von Angeboten und Akteurskonstellationen spielen, gehen wir zunächst darauf ein, welche Ankerpunkte bei der Begründung von Gegenstands- und Aufgaben­verständnissen Verwendung finden (zeitliche und örtliche Dimension, Unterkapitel 3.1). Anschließend wird näher dargestellt, inwieweit die Weiterbildungspakte aus Sicht der befragten Expertinnen und Experten – auch vor dem Hintergrund ihrer organisationalen Rolle – als adäquate Förderinstrumente für die Umsetzung der Aufgaben erscheinen (institutionell-strukturelle Dimension, Unterkapitel 3.2). Insofern zur Konkretisierung und Illustration der Ergebnisse Zitate aus den Interviewtranskripten herangezogen wurden, sind diese zur Gewährleistung der Anonymität der Beteiligten bewusst kompakt gehalten.

3.1 Global und/oder lokal, konstant und/oder tagesaktuell? – Bezugspunkte des feldspezifischen Gegenstands- und Aufgabenverständnisses

Über alle Interviews hinweg wird ein großes Spektrum unlängst abgeschlossener und aktuell laufender Maßnahmen, Programme und Projekte in unterschiedlicher Trägerschaft aufgespannt, wobei Differenzierungen beispielsweise hinsichtlich der inhaltlichen Themensetzungen, bezüglich der adressierten Zielgruppen sowie der didaktisch-methodischen Konzeptionen deutlich werden. Bei aller Unterschiedlichkeit lässt sich jedoch konstatieren, dass der Auseinandersetzung mit konfligierenden Anerkennungs- und Teilhabeansprüchen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen eine kontinuierliche Bedeutung für die politische Erwachsenenbildung beigemessen wird. Ein exemplarischer Indikator hierfür ist, dass die Relevanz von Angeboten mit Augenmerk auf migrationsgesellschaftliche Vielfalt auch nach dem Abflauen der politischen und medialen Aufmerksamkeit in Folge des sogenannten „lange[n] Sommer[s] der Migration“ 2015 (Kasparek et al. 2016) aus Sicht der meisten Befragten uneingeschränkt fortbesteht. Auch die Reflexion weiterer Heterogenitätsdimensionen wie etwa Gender und andere soziodemografische Aspekte wird immer wieder als Teil des eigenen Aufgabenspektrums benannt. Eine mutmaßlich in weiten Bevölkerungsteilen gestiegene Sensibilität für die Diversität der Gesellschaft und den Pluralismus der Standpunkte erkläre bis zu einem gewissen Grad die gegebene Nachfrage und Teilnahme von Personen mit „gewisse[r] Vorbildung“ (Interview 6, Pos. 23) an politischer Bildung. Vor diesem Hintergrund betonen einige Interviewte die disziplintypische Relevanz der Frage, welche Art von Teilnehmenden traditionellerweise erreicht wird und welche gesellschaftlichen Gruppen unerreicht bleiben. Diese Problematik sei ein konstanter „Grundton“ im Alltagsgeschäft. Exemplifiziert wird dies etwa durch „Fortbildungen“ für Lehrkräfte und andere pädagogische Fachkräfte im „Netzwerk Lotsen“ (Interview 5, Pos. 29 ff.) – ausgehend von den Experteninterviews kann angenommen werden, dass der oft zitierte Matthäus-Effekt der Weiterbildung („Wer hat, dem wird gegeben“, siehe etwa Bremer 2007) in diesem spezifischen Feld als besonders gewichtig betrachtet wird.

Gleichwohl wird in vielen der Interviews ein grundlegender Bedarf nach politischer Bildung aus aktuellen Irritationen bzw. Brüchen mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung abgeleitet, angefangen von populistischen Agitationen, reaktionären Gesellschaftsbildern und Verschwörungsmythen bis hin zu rechtsterroristischen Anschlägen. Um Letzteren frühzeitig vorbeugen und gleichermaßen dem Matthäus-Effekt entgegenwirken zu können, wird in einem Interview die Wichtigkeit von offenen Dialogformaten betont: Es gehe darum, „Menschen zu erreichen, die nicht mehr kommen“ (Interview 5, Pos. 39) und diese für demokratische Aushandlungsformate (zurück) zu gewinnen. Insbesondere diesbezüglich betonen mehrere der Befragten die Notwendigkeit, Verbindungen zwischen politischer Bildung, digitaler Bildung und Medienkompetenz herauszustellen, um beispielsweise für „Hate Speech“ (Interview 1, Pos. 39) und „filter bubbles“ (Interview 6, Pos. 23) in sozialen Netzwerken zu sensibilisieren. Diese und weitere Gefährdungen der demokratischen Kultur werden als „ständig wieder auf etwas modifizierte Art“ (Interview 2, Pos. 57) und ortsunabhängig zutage tretende Herausforderungen der politischen Bildung begriffen. Zugleich wird der akute lokalspezifische Bedarf nach Extremismusprävention von mehreren Expertinnen und Experten unter Verweis auf den Mord an Walter Lübcke und das rechtsterroristische Attentat von Hanau unterstrichen. Als konkrete Realisierungsversuche werden etwa das Landesprogramm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ sowie die Beratungs- und Präventionsangebote des Demokratiezentrums Marburg benannt. Auch der Themenkomplex Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit wird einerseits in seiner globalen Bedeutung angesprochen und als „Querschnittsaufgabe“ (Interview 3, Pos. 25) dargestellt, die dauerhaft in verschiedenen Programmbereichen der Erwachsenenbildung behandelt werden müsse. Andererseits wird die Befähigung zur Beteiligung an der Diskussion von „Gerechtigkeitsfragen“ – speziell auch im „Verhältnis Stadt und Land“ (Interview 6, Pos. 61) – im Zusammenhang mit Klima-(folgen-)anpassungen explizit im Zuständigkeitsbereich der politischen Bildung verortet.

Die bisherigen Ergebnisdarstellungen zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in den Begründungslogiken, die in den Expertenperspektiven auf Schwerpunktaufgaben des Feldes zur Geltung kommen, die Dimensionen Zeit und Ort eine besondere Rolle spielen: Generell werden bestimmte Themenstellungen als relativ zeitlose Charakteristika des Gegenstandsbereichs betrachtet, deren Relevanz aber über Bezüge auf jüngere Ereignisse eine Aktualisierung erfährt. Analog dazu werden die Aufgaben des Faches einerseits mit global wirksamen Trends in Zusammenhang gebracht, andererseits wird – nicht zuletzt im Sinne der Teilnehmendengewinnung und der Didaktisierung – ein spezielles Augenmerk auf lokale Manifestationen dieser Trends gerichtet. Es kommt somit ein disziplinspezifisches „glokales“ Aufgabenverständnis zum Ausdruck: Zwar werden zeitliche und örtliche Entgrenzungstendenzen (Digitalisierung und Globalisierung) erkannt, zugleich aber auch die fortbestehende Notwendigkeit, die Adressatinnen und Adressaten der Angebote in ihren konkreten (hessischen) Lebenskontexten abzuholen.

Im Folgenden wird nachgezeichnet, inwiefern die befragten Expertinnen und Experten in den Weiterbildungspakten ein geeignetes Instrumentarium sehen, um diese Herausforderung zu bewältigen.

3.2 Positionierungen zu den gesetzlich-förderstrukturellen Realisierungsbedingungen

Im Querschnitt der Interviews kommt die überwiegende Überzeugung zur Geltung, dass im Weiterbildungspakt 2017 und seiner Erneuerung 2021 in verschiedener Hinsicht Fingerzeige für gewinnbringende Innovationen angelegt sind. Generell wird aus der vergleichsweise hohen Zahl der bewilligten Projekte abgeleitet und wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die gesellschaftliche Bedeutung der politischen Bildung in der Bildungspolitik wieder stärker wahrgenommen werde.

Als zentrale, positive Entwicklung im Zuge des ersten Weiterbildungspaktes wird die Etablierung der Fachgruppe Politische Weiterbildung genannt. In dieser Fachgruppe finden eine gegenseitige Beratung und ein Ideenaustausch zwischen Angehörigen sämtlicher Einrichtungen statt, die Projekte im Bereich politischer Bildung Erwachsener im Weiterbildungspakt durchführen. Mehrere Akteurinnen und Akteure heben in den Interviews explizit positiv hervor, sich durch die aktuell gegebenen Richtlinien insbesondere zur Entwicklung von Verbundanträgen aufgefordert gesehen zu haben. In den sich in der Folge entwickelnden Kooperationsprojekten könnte aus den unterschiedlichen Kompetenzbereichen der jeweils beteiligten Partnerinstitutionen geschöpft werden. Beispielsweise wird die sukzessive Etablierung von massive open online courses und Blended-Learning-Konzepten als Effekt der Zusammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren mit politik- und mediendidaktischen Kompetenzen betrachtet. Die Weiterbildungspakte werden in diesem Zusammenhang als aktivierender und motivierender Rahmen für „Experimente“ verstanden, durch die die Einrichtungen selbst herausfinden können, was für sie „funktioniert“ (Interview 6, Pos. 27). Als beispielhaftes „Aushängeprojekt“ wird auf das Format „Wissensrouten“ verwiesen, an dem verschiedene VHS-Standorte und die Burg Fürsteneck mitwirken und in dessen Rahmen simultan „politische Bildung und Medienbildung“ (Interview 1, Pos. 25) stattfinde. Hier entwickeln die Teilnehmenden kurze Videobeiträge und digitale Landkarten, die künftig ein asynchrones (Kennen-)Lernen wichtiger historischer und politischer Orte in ganz Hessen ermöglichen, deren besonderer Charme aber gerade in dezidiert lokalen Bezügen gesehen wird.

Zudem wird berichtet, dass die Erweiterung des Themen- und Methodenspektrums im Zuge derartiger Experimente und in Kooperationen mit neuen Partnerinnen und Partnern als Lernanlass seitens der Professionellen und Organisationen selbst gesehen wird. Damit wird wiederum die Hoffnung verbunden, dass auch aus befristeten Projekten heraus eine Verstetigung von Ressourcen und Kompetenzen gelingen kann, indem etwa entwickelte Plattformen und die Kenntnisse zu deren Weiterführung erhalten bleiben. In diesem Sinne kann von einem guten Passungsverhältnis zwischen den Weiterbildungspakten als förderpolitischen Interventionen und den von den Expertinnen und Experten elaborierten Gegenstands- und Aufgabenverständnissen (siehe Kapitel 3.1) ausgegangen werden.

Gleichwohl werden von einzelnen Befragten durchaus auch kritische Anmerkungen zu den gesetzlichen und förderstrukturellen Rahmenbedingungen vorgebracht. So wird beispielsweise – auch in der Retrospektive auf erfolgreiche Antragstellungen – geäußert, dass vorab nicht immer transparent sei, inwieweit neue Projektideen den Förderkriterien gerecht werden, die sich durch ihren Prozesscharakter und ihre Ergebnisoffenheit auszeichnen. Auch darüber hinaus wird darauf eingegangen, dass die Antragstellung insbesondere für kleinere Träger mit geringen diesbezüglichen Vorerfahrungen voraussetzungsreich und zeitintensiv sei. Infolgedessen brächten die Pakte noch keinen hinreichenden Ausgleich der als ungleich wahrgenommenen Verwirklichungschancen zwischen freien Projektträgern und etablierten Einrichtungen, die auf gesetzliche Regelförderung und einen größeren Mitarbeitendenstamm zurückgreifen könnten. Als Lösungsvorschlag wird in einem Interview für ein Dreisäulenmodell argumentiert, bestehend aus ausreichender institutioneller Förderung, der Unterrichtsstundenförderung sowie einer Projektförderung. Ferner wird die o. g. Hoffnung auf Verstetigung neuer Angebote und Maßnahmen von einigen Expertinnen und Experten u. a. mit der Sorge assoziiert, dass traditionsreiche Formate wie etwa der Bildungsurlaub zukünftig an Stellenwert verlören: Während hier vor der Pandemie der Austausch und die Diskussion von Erfahrungen in Face-to-Face-Begegnungen im Mittelpunkt standen und als essenziell für den politischen Charakter der Formate gesehen wurden, wird in der fortschreitenden Digitalisierung die Gefahr einer Entpolitisierung gesehen.

4 Fazit und Ausblick

Erklärtes Ziel des vorliegenden Beitrags war eine empirische Analyse der Begründungslogik(en) von gegenwärtigen Schwerpunktsetzungen und Themenkonjunkturen im Feld der politischen Erwachsenenbildung unter Berücksichtigung der förderpolitischen Rahmenbedingungen. Hierfür wurden Experteninterviews, die im Zuge der Erstellung des hessischen „Weiterbildungsberichtes 2021“ geführt worden waren, mit Fokus auf die zeitlichen, örtlichen und organisationsstrukturellen Bezüge der jeweiligen Ausführungen sekundäranalytisch ausgewertet. Resümierend kann als zentrales Ergebnis der Studie festgehalten werden, dass sich im Querschnitt des empirischen Materials ein „glokales“ Inhalts- und Aufgabenverständnis der politischen Erwachsenenbildung abbildet, wobei die hessischen Weiterbildungspakte tendenziell als adäquater Ermöglichungsrahmen für die praktische Umsetzung eingeschätzt werden. Von einer Themenkonjunktur kann einerseits hinsichtlich der Behandlung umfassender Megatrends wie Klimawandel und Digitalisierung, andererseits genuin politischer Phänomene mit globaler Tragweite (exemplarisch: Populismus, rückwärtsgewandte Gesellschaftsbilder) gesprochen werden. Gleichwohl ist die Tendenz zu erkennen, die Komplexität dieser Themen durch besondere Berücksichtigung ihrer regionalen Manifestationen didaktisch einhegen zu wollen. Weiterhin erlaubt der Beitrag eine empirische Unterfütterung für Reflexionen darüber, inwiefern sowohl (sub-)disziplinäre Selbstbeschreibungen als auch Steuerungsinstrumente des Weiterbildungsbereichs stets von der gesellschaftspolitischen Ordnung im weiteren Sinne geprägt werden. Die angestellten Analysen plausibilisieren die Hypothese, dass just der Thematisierung der Fragilität und Angegriffenheit dieser Ordnung (konkret: in Form des Mords an Walter Lübcke und des Attentats von Hanau) eine entscheidende Funktion für die argumentative Aktualisierung von – an sich zeitlosen – thematischen Relevanzen der politischen Erwachsenenbildung beikommt.

Im Sinne eines Ausblicks sei zum einen selbstkritisch auf Limitationen des vorliegenden Beitrags hingewiesen, zum anderen ein Brückenschlag zurück zu den einleitend skizzierten Forschungsdesideraten hinsichtlich des Status der politischen Bildung gegenüber anderen erwachsenenpädagogischen Programmbereichen sowie Begründungslogiken innerhalb der feldtypischen Inhalts- und Aufgabenverständnisse angeboten. Zwar konnte gezeigt werden, wie sich die politische Erwachsenenbildung in Hessen als Bekämpferin gegenwärtiger gesellschaftlicher Brandherde gegenüber anderen Programmbereichen profiliert. Weiterführend wurden Versuche nachgezeichnet, diese „Feuerwehr-Funktion“ mit konstant bleibenden Grundfragen des Politischen zu verknüpfen. Aufgrund der ausschließlich hessischen Stichprobe muss jedoch unbeantwortet bleiben, ob ähnliche Begründungslogiken der fachlichen Daseinsberechtigung auch in anderen Kontexten mit anderen weiterbildungspolitischen Modalitäten und weniger akuten Brüchen mit dem gesellschaftlichen Frieden (Lübcke, Hanau) auftreten. Entsprechend bleibt auch offen, ob derartige Begründungslogiken sich als tauglich für eine dauerhafte Absicherung der politischen Erwachsenenbildung gegen Marginali­sierungstendenzen erweisen. Gewinnbringend, wenngleich voraussetzungsreich, erscheint diesbezüglich die Triangulation von überregional angelegten Programmanalysen (vgl. Scheidig 2022) mit qualitativen Rekonstruktionen in Analogie zu den hier vorgestellten.

Literatur

Bremer, H. (2007). Soziale Milieus, Habitus und Lernen. Zur sozialen Selektivität des Bildungswesens am Beispiel der Weiterbildung. Weinheim u. a.: Beltz.

LAKU – Landeskuratorium für Weiterbildung und lebensbegleitendes Lernen, in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Kultusministerium. (2022). Weiterbildungsbericht Hessen 2021. Wiesbaden. https://kultusministerium.hessen.de/infomaterial/weiterbildungsbericht-hessen-2021

Hufer, K.-P. (2005). Politische Bildung in der Erwachsenenbildung. In W. Sander (Hrsg.), Handbuch politische Bildung (S. 300–314). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.

Hufer, K.-P. (2016). Politische Erwachsenenbildung. Plädoyer für eine vernachlässigte Disziplin. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag.

Kasparek, B., Rodatz, M., Schwertl, M., Sontowski, S., Hess, S. & Kron, S. (Hrsg.) (2016). Der lange Sommer der Migration (Grenzregime III). Berlin/Hamburg: Assoziation A.

Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim/Basel: Beltz.

Medjedović, I. (2014). Qualitative Sekundäranalyse. Zum Potenzial einer neuen Forschungsstrategie in der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer VS.

Meuser, M. & Nagel, U. (2009). Das Experteninterview – konzeptionelle Grundlagen und methodische Anlage. In S. Pickel, G. Pickel, H.-J. Lauth & D. Jahn (Hrsg.), Methoden der vergleichenden Politik- und Sozialwissenschaft. Neue Entwicklungen und Anwendungen (S. 465–479). Wiesbaden: Springer VS.

Scheidig, F. (2022). Angebote politischer Erwachsenenbildung vor und nach dem „Corona-Schock“. Eine vergleichende Programmanalyse zu Online- und Präsenzveranstaltungen an Volkshochschulen. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 45(2), 321–345.

Autoren

Michael Schemmann, Prof. Dr., Professor für Erwachsenenbildung und Weiterbildung an der Universität zu Köln.

Thomas Theurer, Dr., Postdoc und Koordinator des NRW Forschungsnetzwerks Grundbildung und Alphabetisierung an der Universität zu Köln.

Review

Dieser Beitrag wurde nach der qualitativen Prüfung durch das Peer-Review und die Redaktionskonferenz am 10.11.2022 zur Veröffentlichung angenommen.

This article was accepted for publication after qualitative peer review and editorial meeting on 10th of November 2022.