Seit 2012 wurde bereits in Südniedersachsen an Vorgängerprogrammen gearbeitet; im Jahr 2016 legten das ML und die Freiwilligenakademie Niedersachsen e. V. (FAN) einen an die BMQ-Richtlinie angepassten inhaltlichen Rahmen für die Qualifizierung zur bzw. zum Dorfmoderator*in vor. Damit konnten die zu entwickelnden Maßnahmen ungewöhnlicherweise als Maßnahme zur beruflichen Qualifizierung anerkannt werden – obwohl es sich um eine Qualifizierung für das Ehrenamt handelte.
Da der vorgelegte Rahmen Spielraum zur weiteren Ausgestaltung bereits existierender Curricula bot, konnten unterschiedliche Akteure in Südniedersachsen, im Raum Weser-Ems und in Flegessen parallel verschiedene praxisgerechte Modelle weiterentwickeln, die inzwischen auch über das Modellprojekt Soziale Dorfentwicklung in der „Dorfmoderation Niedersachsen“ zusammengeführt wurden – unter Beibehaltung spezifischer Ausprägungen, die die verschiedenen Qualifizierungen profilieren. Infos vermittelt die digitale Plattform dorfmoderation-niedersachsen.de.
Der Schwerpunkt der südniedersächsischen Qualifizierung liegt auf der Verbreitung detaillierten Wissens über das Dorf mit kommunikativen Methoden. In Flegessen wird die Dorfmoderation explizit und konsequent auf das Thema Nachhaltigkeit fokussiert. Die Akteurinnen und Akteure im Raum Weser-Ems schließlich setzen auf die Themen Dorfentwicklung und Dorfmoderation und zielen damit auf die Verstärkung der durch Dorfentwicklungsprozesse und Dorf- bzw. Bürgerdialoge angestoßenen Entwicklungen. Querschnittsthemen wie die „Netzwerkarbeit“, „Kommunikation“ und „Reflexion“ wird in allen Qualifizierungen Raum gegeben.
1 Ausbildung mit hoher Praxisrelevanz
Der vorliegende Beitrag legt – unbeachtet weiterer in der niedersächsischen Bildungslandschaft entwickelter Ansätze1 – seinen Betrachtungsschwerpunkt auf den Qualifizierungsansatz des Raumes Weser Ems – dies u. a. deshalb, weil dieser Ansatz auf der Zusammenarbeit von ländlicher Erwachsenenbildung und ländlicher Entwicklung beruht, die bereits im Vorfeld der Dorfmoderatorenqualifizierung initiiert und praktisch weit vorangetrieben wurde.
Damit schält sich bereits ein Kernaspekt dieses Ansatzes heraus: seine hohe Praxisrelevanz sowohl in der Ausbildung als auch in der Herleitung und Fortschreibung der Ausbildungsthemen und -methoden. So fußt die Dorfmoderatorenausbildung in Weser-Ems auf der Zusammenarbeit der Katholischen LandvolkHochschule KLVHS Oesede und der pro-t-in GmbH, Lingen, als Kommunikationsagentur mit dem Schwerpunkt Regional- und Dorfentwicklung.
In dem Modellprojekt „Dorfgespräch“ sammelten beide Akteure schon früh Erfahrungen im Empowerment ehrenamtlich engagierter Dorfbewohner*innen für die Anliegen von Dorfgemeinschaften sowie als Dialogstifter zwischen Dorfgemeinschaften und ansässiger Landwirtschaft. Aus den hier wie in zahlreichen Regional- und Dorfentwicklungsprozessen gesammelten Erfahrungen – ein Horizont, der sich ständig erweitert – leiten die KLVHS und die pro-t-in GmbH Erkenntnisse über Chancen und Perspektiven zur Entfaltung der Selbstwirksamkeit dörflicher Akteur/-innen ab und verknüpfen diese mit den praktischen Möglichkeiten der Dorfentwicklung und anderer Förderformate.
Gleichwohl erfolgte in Vorbereitung des Curriculums in Weser-Ems der Dialog mit den Initiativgebern aus Südniedersachsen, mit denen 2016 und 2017 eine Vernetzung und in der Folge eine sukzessive inhaltliche Abstimmung erzielt wurden.
Daher bündelt die Dorfmoderatorenausbildung in Niedersachsen unabhängig vom Standort aktuell eine Basis verbindlicher Inhalte, jeweils ergänzt um spezifische Aspekte bzw. Schwerpunktsetzungen, mit denen sich die Qualifizierungsteilnehmenden tiefergehend auseinandersetzen. Wesentlicher Bestandteil sind die Themen „Rollenverständnis und -reflexion“ sowie „Kommunikation“.
2 Rollenverständnis und -reflexion
Die qualifizierten Dorfmoderatorinnen und -moderatoren verfügen über eine große Offenheit und Freiheit in der Ausgestaltung ihrer Rolle. Ihre Herausforderung besteht darin, sich zwischen teils langjährigen Akteurinnen bzw. Akteuren und innerhalb bereits stattfindender dörflicher Entwicklungsprozesse zu positionieren – und dies jeweils auf der Grundlage ihrer persönlichen Voraussetzungen. Je nachdem, wie stark Persönlichkeiten in und mit ihrem Dorf verwurzelt sind, über welche Netzwerke sie verfügen und was sie persönlich antreibt, ergeben sich sehr unterschiedliche Rollendefinitionen und Positionierungen.
In der Qualifikation machen sich die Teilnehmenden ihren persönlichen Rollenanspruch, ihre damit verbundenen Werthaltungen und Erwartungen bewusst und verständigen sich mit den anderen Dorfmoderatorinnen und -moderatoren ihres Ortes oder ihrer Dorfregion auf ein gemeinsames Rollenverständnis, in dem sich die Anliegen der Einzelnen wiederfinden. Auf Basis dieses Selbstverständnisses gestalten die einzelnen Dorfmoderatorinnen und -moderatoren dann zukünftig ihr Engagement aus.
3 Kommunikation auf Augenhöhe
Schon die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und der Austausch darüber konfrontiert die angehenden Dorfmoderatorinnen und -moderatoren mit Grundfragen der Kommunikation. In der Qualifizierung bearbeiten sie neben den Kommunikationsgrundlagen auch Themen wie die Konfliktkommunikation sowie interne und externe Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit mit analogen und digitalen Medien.
Grundsätzlich werden die angehenden Dorfmoderatorinnen und -moderatoren so befähigt, sich als Impulsgebende, Koordinierende, Moderierende, aber auch Gestaltende in dörfliche Prozesse und Projekte einzubinden oder die Akteurinnen und Akteure vor Ort in ihrer Projektabwicklung kommunikativ auf Augenhöhe zu unterstützen. Dieses Agieren in der Dorfgemeinschaft, die in aller Regel geprägt ist durch bestehende Strukturen (Ortsräte und Ortsrätinnen sowie Ortsvorsteher*innen, Vereine, Verbände, Kirchen etc.), erfordert ein hohes Maß an kommunikativer Kompetenz.
Ziel der Dorfmoderatorenqualifikation ist es auch, die Dorfmoderatorinnen und -moderatoren nachhaltig untereinander zu vernetzen. Dafür wurde die Internetplattform dorfmoderation-niedersachsen.de entwickelt, auf der sich die Dorfmoderatorinnen und -moderatoren der breiten Öffentlichkeit präsentieren. Gleichzeitig erhalten Interessierte einen Überblick über die Akteurinnen und Akteure in den verschiedenen Regionen des Landes, die hier auch Einblicke in ihre Motivation und/oder ihre Projekte geben. „Ich will mein Dorf als Gemeinschaft stärken, indem ich meine Übersicht, mein Netzwerk und meinen Verbesserungswillen einbringe, weil ich die Leute hier mag und möchte, dass auch nächste Generationen gut hier leben können“, lautet eine typische Motivation. Eine andere: „Als Dorfmoderator möchte ich die Menschen im Dorf zusammenbringen und versuchen, dass Wir-Gefühl wieder stärker in den Vordergrund zu rücken.“ Auch das Ziel, Jung und Alt in gemeinsamen Projekten zusammenzubringen sowie über den Tellerrand des eigenen Dorfes hinaus in die Nachbardörfer zu blicken, um gemeinsam Zukunft zu gestalten, ist ein starker Antrieb.
4 Über 200 Qualifizierte
Insgesamt haben 236 Personen die Qualifizierung zum/zur Dorfmoderator*in absolviert, 110 in Südniedersachsen, 114 in Weser-Ems und 12 in Flegessen. Als ehrenamtlich Engagierte sind sie nicht verpflichtet, ihre Qualifizierung auch praktisch anzuwenden. Außerdem erfolgt die Qualifizierung immer in enger Anbindung an das jeweilige Dorf, sodass beispielsweise Umzüge zu Brüchen im Engagement führen können. Nicht klar ist auch, ob Qualifizierte ihr Engagement im Dorf explizit unter dem Titel „Dorfmoderator*in“ durchführen oder ihr Wissen im Rahmen ihres allgemeinen Engagements anwenden. Insofern ist die Zahl der Qualifizierten nicht gleichzusetzen mit der Zahl der tatsächlich aktiven Dorfmoderatorinnen und -moderatoren. Hierzu soll es durch eine Befragung demnächst Erkenntnisse geben.
In ihrem „Überblick über die Dorfmoderation Niedersachsen“ fassen Dr. Swantje Eigner-Thiel (von der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst HAWK, Göttingen) und Klaus Ludden (pro-t-in GmbH Lingen) zusammen: „Die Ansätze ‚Südniedersachsen‘ und ‚Weser-Ems‘ ähneln sich sehr in ihren Inhalten; so werden bezüglich der Fachebene Dorf insbesondere Grundlagen und Hintergründe zum Dorfleben vermittelt, wie z. B. Demografie, bauliche Entwicklungen, Sozialraumentwicklung, Ökologie, Demokratieförderung, Dorfentwicklung, (Projekt-) Förderung, Schwerpunkte der Dorfentwicklung und soziale Dorfentwicklung, Ländliche Entwicklung auf allen Ebenen, Das Dorf als System. Aber auch die Themen Kommunikation, Engagement für das Dorf, Dorfbiografie, Dorfanalyseschema und Vernetzung werden hier thematisiert. Querschnittsthema ist bei allen Ansätzen die Kommunikation – Dorfmoderation ist Kommunikation, miteinander reden, in den Dialog gehen.“ (Eigner-Thiel & Ludden 2022, S. 10)
5 Regionen nachhaltig stärken
Und weiter: „In Flegessen spielen diese Themen auch eine Rolle, nur ist der Ausgangspunkt, die Genese der Qualifizierungen, ein anderer: Im Mittelpunkt der in Flegessen angeschobenen Veränderungsprozesse stand das Bestreben, das Dorf für und mit der Gemeinschaft nachhaltig zu gestalten, um zukünftigen Generationen dort ein gutes Leben zu ermöglichen. Hierbei werden unter anderem die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UNDESA, 2020) konkret mit herangezogen.“ (Ebd.)
Das Stichwort Nachhaltigkeit spielt regionsübergreifend in der Dorfmoderation Niedersachsen eine große Rolle: Die Qualifizierung selbst wird als Beitrag verstanden, die Regionen durch Empowerment ihrer Vor-Ort-Akteure und -Akteurinnen nachhaltig zu stärken und zukunftsfähig zu erhalten.
Literatur
Eigner-Thiel, S. & Ludden, K. (2022). Überblick über die Dorfmoderation in Niedersachsen. Im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Autorin
Annette Wilbers-Noetzel, Dr., Geschäftsführende Gesellschafterin Dorf- und Regionalentwicklung, pro-t-in GmbH Lingen
Review
Dieser Beitrag wurde nach der qualitativen Prüfung durch die Redaktionskonferenz am 25.08.2022 zur Veröffentlichung angenommen.
This article was accepted for publication following the editorial meeting on the 25th August 2022.
Eine Gesamtbetrachtung der unterschiedlichen Ansätze in der Entwicklung von Dorfmoderationscurricula kann in diesem Beitrag nicht erbracht werden und bedürfte einer weiteren Befassung. Grundlage der Ausführungen ist der Überblick über die Dorfmoderation, verfasst von Dr. Swantje Eigner-Thiel (HAWK) und Klaus Ludden (pro-t-in GmbH) im Auftrag des ML, Hannover 2022.