Tagung zu „Dritten Orten für Kultur und Bildung“ in Hessen

Unter dem Motto „Gemeinsam Tun“ fand am 18. Juli 2022 in Gießen die Tagung „Jenseits der Metropolen – neue Orte für Kultur und Bildung“ statt. Vier Organisationen der kulturellen Praxis in Hessen hatten sich partnerschaftlich zusammengetan, um die Aktiven vor Ort zu unterstützen und darin zu bestärken, neue Perspektiven zu entwickeln. Der Hessische Museumsverband, der Hessische Volkshochschulverband, der Landesverband Hessen im Deutschen Bibliotheksverband und die Landesvereinigung Kulturelle Bildung Hessen mit ihrem Programm LandKulturPerlen haben gemeinsam mit der städtischen Volkshochschule, dem Oberhessischen Museum und der Stadtbibliothek in Gießen das Thema „Dritte Orte“ zum Thema ihrer Kooperation gemacht.

In einer Mischung aus Impulsen, Vorträgen und Workshops waren die über 100 Teilnehmenden – nach langer Abstinenz in der Erfahrung mit Großveranstaltungen – eingeladen, in den aktiven Austausch zu treten. Es galt Ideen zu entwickeln, wie im ländlichen Raum, aber auch in der Peripherie der Ballungszentren (wieder) kulturelle und soziale Treffpunkte und Orte des zwanglosen Austausches geschaffen werden können, die Menschen im besten Sinne „Heimat(en)“ bieten. Die Bestandsaufnahme im ländlichen Hessen glich dabei der vieler Regionen in Deutschland: Angesichts gesamtgesellschaftlicher Veränderungen, die nicht erst seit der Pandemiesituation das Ehrenamt und den sozialen Zusammenhalt betreffen, bedarf es dringend einer Hinterfragung bisheriger Strukturen von Kulturarbeit und der Schaffung neuer Zugangsformen. Im Ortskern leerstehende Häuser und Geschäfte, am Ortsrand ein großes Neubaugebiet, und die einzige Gastwirtschaft und der Dorfladen geschlossen. Das Bürgerhaus mit Räumen, in denen die Volkshochschule Kurse gibt, ist ein Sanierungsfall. Der Singkreis der Kirchengemeinde, die kleine ehrenamtlich geleitete Bücherstube, die Mundartgruppe und das Heimatmuseum bestehen nur noch aus wenigen Aktiven, die um den Fortbestand ihrer Angebote bangen. So oder so ähnlich erleben viele Menschen in ländlichen Gebieten Hessens ihre Lebensrealität. Und doch kann und darf es nur eine Lesart sein, wenn uns wie hier das kulturelle Leben als Auslaufmodell erscheint.

Bewusst richtete sich die Tagung daher an die vielen Initiativen von Kulturschaffenden jenseits der Metropolen. Nach der Begrüßung durch die Bildungsdezernentin der Stadt Gießen, Astrid Eibelshäuser, in Vertretung des Oberbürgermeisters starteten sehr unterschiedliche Impulse im Saal des Rathauses. Den Auftakt machte der Gießener Poetry- Slammer Stephan Dörsing mit einer wortgewandten und mitrei­ßenden Sprachkollage auf das Vorhaben des Tages. Es folgte ein Filmbeitrag vom Direktor der schleswig-holsteinischen Landesbibliothek, Prof. Dr. Martin Lätzel, der den Kontext der Dritten Orte theoretisch einordnete und mit vielen konkreten Beispielen und Ansätzen aus der Praxis anreicherte. Dr. Katja Drews, Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projekt FAkuBi – Felder und Akteur*innen kultureller Bildung in ländlichen Räumen, Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen und Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe erläuterte anschaulich die Ergebnisse ihrer Forschungspraxis. Den Abschluss bildeten Gabriele Hampson und Michaela Müller aus Lustenau in Österreich, die mit viel Herzblut ihr Projekt „W*Ort“ vorstellten, das sie von der Idee, über die politische und finanzielle Umsetzung, bis in die heutige Praxis umgesetzt haben. Die vielfachen Nachfragen aus dem Publikum bestätigten das große Interesse an dem Thema. Der Nachmittag gehörte den Teilnehmenden, die mit ihren Ideen, Erfahrungen und Hintergründen zu Teilgebenden wurden. In den lichtdurchfluteten Ebenen der Stadtbibliothek wurde in regional zusammengesetzten Workshopgruppen mithilfe eines aufsteigenden und assoziativen Verfahrens in Kleingruppen und Einzelarbeit die Vision eines konkreten Dritten Ortes (weiter-)entwickelt. Ziel war auch die konkrete Vernetzung lokaler und regionaler Akteurinnen und Akteure aus den unterschiedlichen Bereichen und Sparten. Zusammengeführt wurde dies alles am Schluss durch den spontanen Poetry-Slam von Stephan Dörsing, der als sprachartistischer Chronist der Tagung fungierte.

Fazit der Tagung ist, dass solche heutzutage als „dritte Orte“ beschriebene Räume, die neue und „alte“ Akteurinnen und Akteure zusammenbringen, nicht von selbst entstehen. Es bedarf einer offenen Haltung und eines Miteinanders, um bestehende Institutionen weiterzuentwickeln und/oder gemeinsam neue Angebote zu schaffen. Insofern ging es bei der Tagung darum, nach Gelingens- und Misslingensfaktoren zu fragen und Beispiele bereits gelebter Praxis kennenzulernen, die Impulse für eigenes Tun und Handeln bieten. So verstanden, kann Kultur einen wichtigen Stellenwert im ländlichen Raum einnehmen und zum Motor für strukturelle Entwicklungen hin zu mehr Vielfalt, Teilhabe und Zusammenhalt werden.

Es zeigte sich auch, dass Volkshochschulen, Museen, Bibliotheken und Kultur- bzw. örtliche Bildungsinitiativen im Zusammenspiel ein enorm kreatives und lustvolles Potenzial aufweisen. Dies machte Mut und Lust auf weitere Kooperation.

In diesem Sinne haben die verantwortlichen Organisationen im Rahmen ihrer Kooperation verabredet diesen Prozess weiter durch Veranstaltungen, Vernetzungsangebote, Beratung und gemeinsame politische Aktivitäten zu fördern und zu begleiten, damit sich das Konzept der „Dritten Orte für Kultur und Bildung“ in Hessen verbreitet.

HBV treffen Praxis: Programmplanung und Planende im Wandel

Christiane Ehses

Programmplanung ist das Herzstück und die Kernaufgabe im Tätigkeitsspektrum des planenden Personals – der Hauptberuflichen Pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (HPM) in Volkshochschulen. Die Herausforderungen für die Entwicklung und Strukturierung von Angeboten und Programmen in einem dynamischen Feld (z. B. Integrationsaufgaben, Digitalisierung, gesellschaftliche „Sorgethemen“) bewirken auch Wandlungsschübe in der Programmplanung und neue Kompetenzanforderungen für das Personal. Welche Kompetenzen benötigen HPM vor allem mit Blick auf die Zukunft? Was trennt und was eint offene und curriculare Planung an den Volkshochschulen? Wo liegen Qualifizierungsbedarfe? Welche Aufgaben beinhaltet dies für die Forschung, welche für den hvv?

Dies waren Themen für den fünften hvv-talk am 04.04.2022, mit dem das Format „HBV treffen Praxis“ zum dritten Mal fortgesetzt wurde. Prof.*in Aiga von Hippel von der Humboldt-Universität zu Berlin stellte Ergebnisse aus der Programmplanungsforschung und ein Kompetenzmodell für das planende Personal vor. Sie hat ihr Kompetenzmodell Planende (KomPla-Modell) an das GRETA-Modell (Kompetenzmodell für Kursleitende) des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung angelehnt und als Komplementärentwurf für das disponierend-planende Personal formuliert und neu justiert (vgl. HBV 2019, Heft 2/2019, S. 111–1211).

Insbesondere das erwachsenenpädagogische Wissen wird im KomPla-Modell neu – auf planende Aufgabenfelder hin – formuliert. Das Modell will sowohl kompetenztheoretische Zugänge mit Fokus auf Kernkompetenzen als auch Zugänge mit Fokus auf thematische Herausforderungen integrieren. Deutlich wird dabei, wie komplex das Tätigkeitsfeld ist.

Die Diskussion des Vortrags wurde in zwei Fishbowls digital durchgeführt – die Diskutant*innen kommentierten aus unterschiedlichen Perspektiven der Programmplanung und teilten ihre z. T. sehr langjährigen Erfahrungen, auch bezüglich der Veränderungen, die sie berufsbiographisch in der Programmplanung erlebten und reflexiv verarbeiteten. Ein lebhafter Austausch im Chat begleitete die Diskussionen.

Als eindrücklich wurden die letzten beiden Jahre der Corona-Pandemie erinnert: Hier wurde vor allem der Bedarf der digitalen Kompetenzen als dringlich artikuliert. Die Diskutantinnen und Diskutanten rekonstruierten die Phasen der Ad-hoc-Digitalisierung mit hohem Experimentiercharakter und die darauf folgenden Entwicklungsphasen, die Professionalisierungsfragen vordringlich werden ließen. Kompetenzen in der Bewerkstelligung der Technik (Bespielung der Konferenztools) werden mit di­daktischen Herausforderungen (Erwachsenenbildung mithilfe digitaler Medien) ge­koppelt.

Die Entwicklung der letzten 15 Jahre resümierend wurde vor allem die Integration der Modi offene und curriculare Planung im Sprachen- und Integrationsbereich als herausfordernd beschrieben. Außerdem wurde von den Praktikerinnen und Praktikern auch hervorgehoben, dass Themenfelder wie Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement einen großen Bedeutungszuwachs erlangt haben. Diese Tätigkeitsfelder finden sich auch im KomPla-Modell von Aiga von Hippel. In der Diskussion wurde die Organisationsebene als Anforderungsfeld für das planende Personal vor allem mit den Aufgaben Vernetzung, Kooperation und Zusammenarbeit besetzt. Insbesondere in den Vernetzungsthemen sahen die Diskutantinnen und Diskutanten einen neuen Modus für ein anderes Planungsmodell.

Ale Schlüsselrüstzeug für HPM wurde „Resilienzkompetenz“ als Begriff geprägt. Insgesamt sehen sich die Programmplanenden als Jongleurinnen und Jongleure, damit beschäftigt, unterschiedliche Bälle zu balancieren. Wissenstransfer als Metaaufgabe wurde versucht im Kompetenzmodell zu verorten.

Die Organisationsperspektive mit der Professionsperspektive zu verschränken wurde als wichtiges Thema für die Programmplanungsforschung gesichtet. Für die Praxis wird ein berufsbegleitender Kompetenzaufbau als wichtig erachtet, insbesondere als Gestaltung und Begleitung des Generationenwechsels.

Das Format „HBV treffen Praxis“ versteht sich als dialogisches Begleitforum der Hessischen Blätter für Volksbildung. Referenz sind ausgewählte Publikationen, deren Autorinnen und Autoren ihre Beiträge gemeinsam mit kommentierenden Praktikerinnen und Praktikern zur Diskussion stellen. Aus der Erfahrung von drei solcher Foren können wir sagen: sehr fruchtbar für beide Seiten! Fortsetzung folgt!