Editorial

Obwohl das (lernende) Subjekt in Überlegungen zur Erwachsenen- und Weiterbildung eigentlich immer irgendwie mitgedacht ist, wenn es um die Kultivierung menschlichen Lernens über die Lebensspanne und dessen Wechselwirkungen mit den biografischen Gegebenheiten und Dispositionen, um die Organisation von Bildung für das Erwachsenenalter, um spezifische Angebotsformate von Adaption bis Resonanz, adressierte oder nichtadressierte Zielgruppen, Lernbeeinträchtigung, um Lernende bzw. Nichtlernende oder Widerständig-Lernende und vieles mehr geht, so ist es doch hin und wieder bereichernd, sich nochmals ganz explizit mit dem Subjektbegriff in der Erwachsenenbildung zu befassen. Welche Konzeptionen und Konzepte stecken hinter einem der großen Grundbegriffe der Bildungswissenschaften? Was hat es mit dem aktuell diskutierten gesellschaftlich kontextualisierten Subjekt auf sich? Ist die kritische Individualisierungsthese (nach Ulrich Beck u. a.) damit vom Tisch? Wie sind Identitätsentwicklung oder gar Identitätsbildung hier zu verorten und – möglicherweise unter dem Eindruck einer unausweichlich wachsenden Digitalisierung – praktisch zu gestalten – im Sinne eines für das Subjekt gelingenden Lernens? Und welche Einblicke und Erkenntnisse gelangen unter dem Aspekt des praktischen Vollzugs von Subjektivierung als grundsätzlich relationale Wechselwirkungsverhältnisse zwischen Welt, Subjekt und Lerngegenstand (Objekt) anders oder neu in den Blick? Dies alles waren Überlegungen zur Schwerpunktsetzung des vorliegenden Heftes, in dem wir vielfältige Beiträge versammelt haben, die diese Themenfelder aufnehmen und sich mit den Wirkungen und Veränderungen aus verschiedensten Perspektiven (theoretisch-einordnend wie empirisch-analytisch) auseinandersetzen.

Grundlegende subjektbezogene Dimensionen von Erwachsenenbildung wie Räumlichkeit und Zeitlichkeit, Körperlichkeit, Leiblichkeit, sprachliche und biografische Situiertheit sowie emotionale Einbettungen und Verwobenheiten werden ins­besondere durch Fragen von Mediatisierung, Digitalität, Big Data und (unsichtbar) steuernden Entscheidungen durch Algorithmen nochmals neu in den Vordergrund gerückt. Durch Optionen der Imagination meines Subjektseins im digitalen Raum (Stichwort: Avatar, Alias) bis hin zu transhumanen Konservierungs- oder Optimierungsgedanken lösen sich anthropogene Selbstverständlichkeiten anscheinend auf. Wie aber wirkt sich dies auf uns als Subjekt aus, mit unserer Identität und daran anschließend dem, was wir in diesem Kontext bislang als Lernen betrachtet und mit Erwachsenenbildung gestaltet haben? Große Fragen unserer Zeit der „digitalen Moderne“ (Nassehi 2019), die auch in den Überlegungen der Autorinnen und Autoren im vorliegenden Themenheft immer wieder auftauchen, wenn es um die (Selbst-)Vergewisserung über das lernende Subjekt, Identität und Selbst geht.

Glücklicherweise bleiben aber in all diesen Szenarien auch die alten Gewissheiten der zugleich unhintergehbaren Offenheit des Lernens (Faulstich 2013) erhalten. Da bestehen trotz allem Wandel weiterhin zentrale Bildungsdimensionen von Unbestimmtheit, Kontingenz, Vagheit oder Widerständigkeit auf den niemals gradlinigen Bildungswegen zu Mündigkeit, Mitbestimmung, Verantwortung oder Sorge, Teilhabe und Emanzipation. Durch Unwägbarkeiten eröffnen sich uns als lernenden Subjekten erst Zugänge zu Vieldeutigkeit, Irritationen, anderen Meinungen und Polymorphien, Alterität (Ebner von Eschenbach 2021). Die Abhängigkeit des Subjekts von der historischen, sozial-gesellschaftlichen, ökonomischen wie individuellen Realität kann so an zahlreichen Stellen sichtbar werden. Aber auch die Eigensinnigkeit und das spannungsreiche bis widersprüchliche Wechselgefüge zwischen Individuum und Welt, Subjekt und Objekt. Das Subjekt der Gegenwart wird disziplinübergreifend als sozial kontextualisiertes, „vergesellschaftetes Subjekt“ (Scherr 2005) verstanden, mit zugleich immer eigenen, individuellen Interessen und Erwartungen, die sich für die Erwachsenenbildung an Fragen von Weiterentwicklung oder auch Weiterbildung sowie das mehr oder weniger bewusst reflektierte Lernen ausrichten. Unser Anliegen im Heft ist es, zugleich das ganz spezifisch Menschliche im Subjektsein zu reflektieren und die Subjektkonstituierung, die „innere Realität“ (Busch 2005), als Bildungsaufgabe und -anlass wie auch Widersprüchlichkeit deutlich zu machen. Im Konstrukt der doing biography (Alhei & Dausien 2000) wird betont, dass im Vollzug des Handelns Sinn produziert wird, und die gesellschaftlich vorgegebenen Normen werden im Tun aktiviert, aber auch reflektiert, ausgelegt und beeinflusst (langfristig verändert). Biografie kann darin „als soziale Konstruktion und als biographische Arbeit begriffen (werden), die auf bestimmte gesellschaftliche Problemlagen antwortet, sich bestimmter kultureller Muster bedient und unterschiedliche Bedeutungen für die Einzelnen hat“ (von Felden 2020, S. 19).

Seit einiger Zeit fließen dabei auch immer mehr Aspekte aus der sich unaufhaltsam ausbreitenden Digitalität und Datafizierung mit ein. Es geht um Fragen nach Digitalisierungseffekten auf die Lernenden, aber auch um ein Subjektsein, für das in der Gegenwart kaum mehr zwischen digitalem Sein und analogem Sein (wenn dies denn der Kontrastbegriff sein kann) unterschieden werden kann. Aktuell kommen Weltgeschehnisse hinzu, die neben der Öko- oder Klimakatastrophe durch ein Kriegsgeschehen mitten in Europa existenzielle Krisenreaktionen und extreme menschliche Emotionen hervorrufen (von Angst bis Solidarität und Aufopferungsbereitschaft), die uns unser Subjektsein radikal spüren lassen. Diese Leiblichkeit führt uns zu einer Bestimmtheit von Körper in Raum und Zeit, in die unser Denken, Erfahren und Erleben verflochten ist. Wir sind aber auch nicht nur unser individuelles (eigensinniges) Selbst oder lediglich „soziale Akteure, die aus Normen und gegenseitigen Erwartungen soziale Strukturen produzieren“ (Faulstich 2013, S. 78). Es ist diese sehr komplexe Relation und Gemengelage – flexibel und stabil zugleich – aus individueller Subjektivität und gesellschaftlichen Mustern und Normen, die so spannend für die Bildungswissenschaften ist, weil beide Realitäten ineinander verwoben sind (Scherr 2005, S. 14 ff.) und ein stetig konstitutives Geschehen erzeugen.

Unser Anliegen für dieses Heft zielt darauf, dem lernenden Subjekt einen expliziten Raum zu geben, in dem es in seiner lern- oder auch bildungsbezogenen Dimension (adaptiv bis transformativ, selbstaufklärend bis determiniert, konstruktivistisch bis poststrukturalistisch, defensiv bis expansiv) als vergesellschaftetes wie individuelles (eigensinniges) Wesen jeweils unterschiedlich in den Blick gerät. Immer wird also das „Subjekt“ in den vorliegenden Beiträgen in den Vordergrund gerückt, wobei auch Grenzen des subjektzentrierten Diskurses menschlichen Lernens überschritten werden, indem relevante Merkmale eines (erwachsenen‑)pädagogischen Subjektbegriffs wie etwa Biografie, Leiblichkeit, Verantwortungs- und Reflexionsfähigkeit) für das organisationale Lernen aufgeschlossen und befragt werden.

Im ersten Teil des Heftes mit dem Titel „Subjekt – Biografie – Identität: Theoretische Verortungen“ geht es um die eingangs skizzierten Einordnungen. Den Anfang macht der Beitrag „Illusionen der Kohärenz? Aktuelle Identitätskonzepte im Spannungsfeld von Individualität und Kollektivität“ von Kira Nierobisch. Darin werden in einer zunächst erst einmal eher essayistisch beobachtenden Art gegenwärtige Entwicklungen und Einwirkungen auf „Identitätskonzepte“ im Rahmen krisenhafter, globaler Herausforderungen skizziert. Über diese Setzung – mit streckenweise normativer Aufladung – arbeitet sich Kira Nierobisch an den Prämissen und der Fragilität moderner Identitätsentwürfe ab und führt sie über den Gedanken des Anderen, Fremden und Kollektiven zu einer bildungs- und lernbezogenen Ausrichtung, die insbesondere im Kontext aktueller digitaler Formate und Einwirkungen auch die professionelle Identität berührt und Prozesse der Professionalisierung herausfordert.

Marie Rathmann zeigt in ihrem Beitrag mit dem Titel „Das Subjekt im digitalen Raum. Eine praxistheoretische Perspektive“, wie die allgegenwärtige Digitalisierung auf uns als Subjekte einwirkt und sich unsere Identität als„kaleidoskopartig“ zwischen digitalen and analogen Praktiken in einer Vielfalt an (Lern-)Räumen entfaltet. Eine ihrer zentralen Schlussfolgerungen denkt den digitalen Raum gerade deshalb auch als Lernort, den es erwachsenenpädagogisch zu konstruieren gilt, um Bildungsbewegungen zu initiieren und in mitunter konfliktreichen Erfahrungen für die Identitätsbildung zu nutzen.

Mit dem Beitrag „Jenseits bloßer Metaphorik? Organisationen als lernende Subjekte“ greift Henning Pätzold eine weitere Dimension im Diskurs auf das lernende Subjekt auf, indem er danach fragt, inwiefern die in dem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse auch auf das organisationale Lernen übertragbar sind. Anhand der zentralen Konzepte und Begriffe Biografie, Leiblichkeit, Verantwortungsfähigkeit und Reflexionsfähigkeit erörtert er deren Übertragbarkeit auf lernende Organisationen, die über eine rein metaphorische Nutzung hinausgeht. Der Beitrag schließt mit einigen Überlegungen, was eine mögliche Übertragbarkeit sowohl für die Erforschung wie für die praktische Gestaltung organisationalen Lernens bedeutet.

Schließlich befasst sich Joachim Ludwig in seinem Beitrag „Subjekt und Subjektentwicklung im erwachsenenpädagogischen Diskurs“ mit vier unterschiedlichen Subjektmodellen der letzten 30 Jahre Theorieentwicklung und -diskussion in der Erwachsenenbildung: Kritische Theorie; Konstruktivismus; Poststrukturalismus; Subjekttheorie. Indem er die Theorien jeweils auf ihre Konstruktionen von „Subjekt“, „Subjektentwicklung“, „Identität“ bzw. „Biografie“ durchmustert, kann er zentrale Gemeinsamkeiten (z. B. angelegte Beziehungen und Verhältnisse von Kontext, Welt, Subjekt, Sozialität u. a.) wie auch grundlegende Unterschiedlichkeiten (empirische Grundlegungen, Lern- oder Bildungsbezug, didaktische Herangehensweise u. a.) herausarbeiten, entlang derer dann auch Bezüge zu didaktischen Modellen und Handlungspraktiken möglich werden.

Wie vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen das lernende Subjekt in der Bildungspraxis sowie als Thema der Weiterbildungsforschung auftaucht und reflektiert wird, zeigen die Beiträge im zweiten Teil des Heftes unter dem Titel „Das lernende Subjekt in Forschung und Praxis“:

Das Potenzial von Fallstudien (hier im betrieblichen Kontext) aufgreifend, geht Jessica Kleinschmidt der Frage nach, inwieweit innerbetriebliche Übergänge bei Führungskräften bzw. auf dem Weg dorthin „Transitionen“ anstoßen, die aus subjektorientierter Perspektive lernanregend sind. Zugleich werden unterstützende Faktoren und betriebliche Strukturen der Weiterbildung sichtbar, die solche Aufstiegswege z. B. durch unterschiedlichste Weiterbildungsprogramme und -angebote unterstützen und begleiten. Es zeigt sich eine große Vielfalt der Individualität solch transitorischer Lebenswege, und auch anscheinende Irrwege oder nötige Umwege können als wichtige Entwicklungsverläufe sichtbar gemacht werden.

Aus der Perspektive der Alternsforschung erörtern Miranda Leontowitsch und Hans Prömpel unter dem Titel „Alter(n) und Lernen: Zur Bedeutung von reflexivem Lernen in informellen Bildungssettings“, wie Lerngelegenheiten im Alter ermöglicht und genutzt werden können. Ausgehend von Alter als einer vielschichtigen, von zahlreichen Umbrüchen, Übergängen, aber auch Krisen geprägten und damit sehr dynamischen Lebensphase diskutieren sie, welcher Rolle vor allem informelles Lernen bei der autonomen Bewältigung solcher Herausforderungen dabei zukommt. Am Beispiel eines an der Universität des 3. Lebensalters in Frankfurt angebotenen Projektseminars, an dem auch Studierende aus dem Master Erziehungswissenschaft teilgenommen haben, zeigen die Autorin und der Autor, wie über einen forschenden und intergenerationalen Zugang die reflexive Auseinandersetzung mit Lebensthemen gelingen kann.

Inwiefern Grundbildungsangebote mit auf die Subjekte abgestimmten Lernangeboten dazu beitragen, gesellschaftliche Teilhabe für gering literalisierte Erwachsene zu ermöglichen, erläutern Carolin Lehberger, Ulrike Heidenreich und Carina Hilt in ihrem Beitrag „Das Subjekt im Fokus der Grundbildung“ am Beispiel zweier saarländischer Volkshochschulen. Deutlich wird darin sowohl die Breite an spezifischen und innovativen Formaten, die auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgelegt sind, als auch der ressourcenorientierte Ansatz, der die Motivation, mit der Lernende die Angebote aufsuchen, aufgreift und bestärkt und ihnen somit ein erfolgreiches und nachhaltiges Lernen ermöglicht.

Das Heft schließt mit einem Beitrag von Nicole Numrich, die unter dem Titel „Quo vadis, Nicole? Von Beruf zu Berufung – ein biografischer Reife-Weg“ demonstriert, wie praktische Biografiearbeit aussehen kann, wobei die Besonderheit des Beitrags darin besteht, dass die Autorin sich selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt und einer eingehenden (Selbst-)Reflexion unterzieht. Ausgehend von einer biografischen Umbruch-, Findungs- und Neuorientierungsphase und im Kontext der Teilnahme an einer Weiterbildung zur (biografischen) Mentorin gelingt es ihr, mit diesem sehr persönlichen Zugang aufzuzeigen, welche Wirkmächtigkeiten sich mit und ohne Anleitung bzw. pädagogische Begleitung für lernende Subjekte entfalten können und welche neuen Perspektiven sich dadurch erschließen.

Literatur

Alheit, P. & Dausien, B. (2000). Die biographische Konstruktion der Wirklichkeit. Überlegungen zur Biographizität des Sozialen. In E. M. Hoerning (Hrsg.), Biographische Sozialisation. Lucius & Lucius, S. 257–283.

Busch, H.-J. (2005). Subjektkonstitution und innere Realität. In B. Hafeneger (Hrsg.), Subjektdiagnosen. Subjekt, Modernisierung und Bildung. Wochenschau Verlag. S. 39–59.

Ebner von Eschenbach, M. (2021). „Zwischenwelten“ der Erwachsenenbildung. Relationales Denken als Navigationsmittel in kontingenten Zeiten. In Magazin erwachsenenbildung.at 42, 11 S., https://doi.org/10.25656/01-22030.

Faulstich, P. (2013). Menschliches Lernen. Eine kritisch-pragmatistische Lerntheorie. transcript.

Nassehi, A. (2019). Muster: Theorie der digitalen Gesellschaft. Beck.

Scherr, A. (2005). Vergesellschaftung und Subjektivität – Rückfragen an die Theorie reflexiver Modernisierung. In B. Hafeneger (Hrsg.), Subjektdiagnosen. Subjekt, Modernisierung und Bildung. Wochenschau Verlag. S. 11–24.

von Felden, H. (2020). Grundannahmen der Biographieforschung, das Erzählen von Lebensgeschichten und die Konstruktion von narrativer Identität. In U. Deppe (Hrsg.), Die Arbeit am Selbst. Springer VS. S. 23–40.) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23580-2_2.

Autorinnen

Dr. Birte Egloff, Akademische Oberrätin im Dekanat des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt.

Sabine Schmidt-Lauff, Prof.in Dr., Professorin für Weiterbildung und lebenslanges Lernen, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften.