Kriterien, Kanäle und Köpfe

1 Einleitung

Anlässe für Veränderungen in Weiterbildungsorganisationen1 gibt es viele: Zum einen ziehen die Corona-Krise sowie die digitale Transformation neue Formen der Strukturierung von Lehr-/Lernprozessen nach sich. Pandemiebedingt mussten in relativ kurzer Zeit rechtliche Vorgaben bedacht sowie didaktische und technische Neuerungen initiiert werden, um dem drohenden Nachfrageeinbruch der Teilnehmenden und den Herausforderungen durch das Homeoffice adäquat zu begegnen. Zum anderen setzt die zunehmende Internationalisierung und Entgrenzung von Bildungsinhalten bzw. -angeboten die Anbieter unter Innovationsdruck (vgl. Jütte 2018; Schneider et al. 2019). Für Weiterbildungsorganisationen stellt sich vor dem Hintergrund des Generationenwechsels die Frage, wie das stark ausdifferenzierte und nach verschiedenen Segmenten (wissenschaftliche Weiterbildung, Volkshochschulbildung, betriebliche Bildung etc.) spezifisch organisierte Fachwissen in angemessener Qualität erhalten, aufbereitet und aktualisiert werden kann. Eine Herausforderung besteht darin, dass die vergleichsweise hohe Fluktuation in der Weiterbildung zeitlich mit einer Phase größeren sektoralen und organisatorischen Wandels zusammenfällt (vgl. Meisel 2019, S. 329). Dazu zählen beispielsweise die zunehmende Digitalisierung von Bildungsprozessen und -organisationen (vgl. Wilmers, Achenbach & Keller 2021), die wachsenden demografischen Herausforderungen für örtliche Träger (vgl. Aldrian, Fließer & Egger 2021), die Gestaltung zeitgemäßer Lernumgebungen (Stang 2016), die Erfordernisse altersgerechter Angebote von Weiterbildung (vgl. Winkler 2015), Kompetenzverschiebungen im Zuge der Digitalisierung (vgl. Umbach et al. 2020) oder die Öffnung akademischer Bildungsangebote für eine breitere gesellschaftliche Nachfrage (vgl. Cendon et al. 2020; Hanft et al. 2016) – um nur einen kurzen kursorischen Eindruck aus dem deutschsprachigen Diskurs zu geben.

Dass auch Weiterbildungsorganisationen zu einschneidenden Veränderungen in der Lage sind, zeigen die Reaktionen vieler Anbieter im Kontext der Corona-Krise (vgl. Christ et al. 2021). Recht flexibel haben berufliche Schulen, Hochschulen, gemeinnützige wie kommerzielle Anbieter auf pandemiebedingte Beschränkungen reagiert, indem sie zumindest einen Teil ihrer Angebote ins Online-Format überführten (vgl. Christ et al. 2021). Sie haben sich damit einer unerwarteten Bewährungsprobe gestellt und sind zu diesem Zweck vom Prinzip des „lebenslangen“ Lernens von Personen auf das des „organisatorischen“ Lernens in eigener Sache gewechselt. Andere Einrichtungen, wie z. B. kirchliche Träger, konfrontierten indes größere Schwierigkeiten bei dieser Anpassung (vgl. Christ et al. 2021, S. 21).

Transformationen, die sowohl die Angebots- als auch die Personalstruktur einer Weiterbildungsorganisation betreffen, sind alles andere als trivial. Organisationen sind es gewohnt, auf der Basis von Routinen bzw. Mustern zu operieren, die zwar einerseits Bestandteil ihres Wandels sind, diesen aber zugleich hemmen oder zum Stillstand bringen können (vgl. Roehl 2014; Dosdall 2021, S. 57–76). Routinen sind eingebettet in die formalen und informalen Prozesse der Organisation und lassen sich oft nur schwer verändern – und wenn, dann vielmals zunächst eher oberflächlich (vgl. Levitt & March 1988; Meyer & Rowan 1977). Für „Veränderungsträgheit“ wird nicht selten die informale oder kulturale Realität einer Organisation verantwortlich gemacht, also Traditionen, Werte und persistente Normvorstellungen (vgl. Kühl 2018, S. 1). Der Generationenwechsel in der Weiterbildung berührt dabei nicht nur das allgemeine personelle Gefüge in den Einrichtungen im Hinblick auf die Unterrichts­kapazität, sondern ganz konkret die unmittelbar didaktische Seite bezüglich methodischer Kenntnisse, Grad der Gewöhnung an digitale Techniken und deren flexible Integration (vor allem in Form von Blended-Learning) sowie bezüglich der Bereitschaft zu eigenen Weiterbildungsaktivitäten bei den Unterrichtenden selbst (vgl. Bolten 2018).

In diesem einführenden Beitrag sollen zentrale Veränderungen im quartären Sektor in den Blick genommen werden, um damit ein organisationsspezifisches Verständnis des Wandels in Weiterbildungseinrichtungen zu schärfen. Als Grundlage dafür dient der ursprünglich von Luhmann (2011, S. 222–255) entwickelte Ansatz der Entscheidungsstruktur in Organisationen (vgl. in Weiterentwicklung Kühl 2011, S. 102–113). Mit diesem lässt sich zeigen, dass elementare Entscheidungsprämissen den Spielraum jedes Organisationswandels abstecken, diesen aber nicht determinieren (vgl. Schütz 2022). Insbesondere in lose gekoppelten Expertenorganisationen kommt es immer wieder zu Abweichungen, Überraschungen und erzwungenen Elastizitäten, deren Wirkmächtigkeit im Zuge von Transformationsprozessen deutlicher als sonst hervortreten kann.

2 Organisatorischer Wandel in der Weiterbildung aus Entscheidungsperspektive

Betrachtet man die organisierte Weiterbildung, so fällt auf, dass den alltäglichen Einzelentscheidungen übergeordnete Muster des Entscheidens vorangehen. Die Entscheidung, neue Weiterbildungsformate zu konzipieren, ist immer schon in ein Programm bestehender Angebote einzuordnen. Zielgruppen werden identifiziert, potenzielle Bedarfe und ihre etwaigen Entwicklungspotenziale werden ausgelotet. Personen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Welche fachlichen und im engeren Sinne sozialen Eignungen werden beispielsweise von Dozent*innen gefordert? Schließlich können durch die organisationsinterne Kommunikation Entscheidungsmuster identifiziert werden; beispielsweise derart, wie die Zusammenarbeit geregelt ist, einschließlich Abstimmungs- und Feedbackprozessen zwischen Geschäftsführung, Verwaltung und Unterrichtenden – beispielsweise über Dozent*innenkonferenzen, Fachtage, Workshops oder Auftakt- und Abschlussveranstaltungen. Alle solche auf Dauer gestellten Voraussetzungen werden in der Organisationsforschung auch als Entscheidungsprämissen bezeichnet. Wir können im Weiteren auch einfach von Weiterbildungsprämissen sprechen. Solche Prämissen, also Regelungs- und Planungsvoraussetzungen, dienen dazu, nicht zu jeder Entscheidungslage mit allem neu anzufangen. Bezogen auf die Weiterbildung heißt das: Wozu, wodurch und mit wem werden Entwicklungs- und Transformationsprozesse organisatorisch in Gang gebracht? Die Verankerung solcher Voraussetzungen bedeutet nicht, dass Regeln unveränderlich wären. Im Gegenteil – überall dort, wo organisatorischer Wandel stattfindet, sind – reflexiv – auch die zugrunde liegenden Entscheidungsmuster betroffen. Dies lässt sich anhand dreier Stellhebel in der organisierten Weiterbildung präzisieren.

Programmatischer Wandel

Eine zentrale Prämisse jeder Organisation bilden ihre Programme, das heißt die Kriterien – also all das, was grundsätzlich geregelt wird (vgl. Kühl 2011, S. 103–105; Tacke & Drepper, 2018, S. 64 f.). Weiterbildungsorganisationen befassen sich vermehrt mit der Entwicklung von Profilen, also spezifischen Leistungs- und Angebotsstrukturen, die sie günstigenfalls von der Konkurrenz abheben. Im wissenschaftlichen Diskurs wird mit Begriffen wie Profilbildung, Reputation, Corporate Identity oder Unternehmenskommunikation ein Thema diskutiert, das auch für Weiterbildungseinrichtungen von besonderer Relevanz für die langfristige Existenzsicherung ist (vgl. Röbken 2007). Auf Programmebene geht es dabei immer um Zwecke; im Bereich der Weiterbildung sind dies insbesondere Dienstleistungen in Form von Bildungsangeboten. Beabsichtigt eine Einrichtung beispielsweise, ihr Lehrangebot im Blended-Learning-Format anzubieten, so werden technische Umrüstungen und neue Regularien erforderlich. Digitalisierung kann curriculare Veränderungen, Änderungen im Einsatz der Lernmedien, neue Prüfungsformen oder erweiterte Leistungskriterien nach sich ziehen. Zudem stimuliert eine „digitale Agenda einen stärker personalisierten Lernprozess, der sowohl die Lernwirksamkeit erhöhen als auch den Ressourceneinsatz effizienter gestalten soll (vgl. Krüger 2018).

Wandel der Kommunikationswege

Eine weitere Prämisse besteht in den kommunikativen Beziehungen oder Kanälen. Darunter fallen Hierarchie, kollegiale Zusammenarbeit und Arbeitsteilung in Form von Stellen (vgl. Kühl 2011, S. 105–107; Tacke & Drepper 2018, S. 65 f.). Eine bedeutende Entwicklung in der Weiterbildung vollzieht sich mit dem demografischen Wandel. Durch die zunehmende Rekrutierung sogenannter „Digital Natives“ werden die Kommunikationsabläufe zwischen den Expert*innen tendenziell auch informeller, womöglich „persönlicher“ und „lockerer“ empfunden (vgl. Teichmann & Hüning 2018). Ferner können sich Erwartungen in Bezug auf die Kommunikation ändern. Fachkräfte erwarten heute offenkundig mehr Dialog- und Feedbackangebote sowie schmalere Hierarchien (vgl. von Ameln & Wimmer 2016). Hinzu kommt eine „Projektifizierung“ (Kühl 2016, S. 8) des Arbeitens. Projekte in der Weiterbildung haben durch die Verquickung allgemein- und fachdidaktischer, lernpsychologischer, informationstechnologischer sowie (prüfungs-)rechtlicher Domänen und Wissenskulturen oft interdisziplinären Charakter. Das projekthafte Arbeiten wird generell durch die vorherrschenden Trägerschaften und Beschäftigungsformen, die Förder- und Finanzierungsprogramme mit staatlichen Akteuren sowie die Kooperation verschiedener Einrichtungen forciert.

Wandel der Köpfe und in den Köpfen

Eine dritte Prämisse stellt das Personal selbst dar. Die Köpfe der Organisation sind Merkmalsbündel aus Eignungen und Eigenschaften (vgl. Kühl 2011, S. 107; Tacke & Drepper 2018, S. 66 f.). Personen können in Weiterbildungsorganisationen als innovative Vordenker*innen hervortreten; sie können sich jedoch auch als Bedenkenträger*innen erweisen. So wird die Frage der Personalauswahl und -entwicklung relevant. Die eher lose Koppelung der Expertisen einer Bildungseinrichtung (vgl. Weick 1976) verlangt Führungskräften viel Moderationsvermögen ab. Da Bildungseinrichtungen letztlich diverse Expertenfähigkeiten – nicht nur eine bestimmte Profession – erfordern, kommt im Hinblick auf die pädagogischen Führungskräfte deren Fach­autorität bzw. dem in einer Laufbahn erworbenen Erfahrungs- und Fachwissen eine gewichtige Bedeutung zu (vgl. zur Bedeutung pädagogischer Qualifikationen in der Weiterbildung Wißhak et al. 2020). Der Führungsstil in Bildungsorganisationen ist nach wie vor oft am Primus-inter-Pares-Prinzip orientiert (vgl. Habeck 2015), da Expert*innen für sich individuell hohe Selbstverantwortung reklamieren und die Einflussnahme durch übergeordnete Expert*innen deshalb Fingerspitzengefühl erfordert.

3 Stabilität und Änderung von Entscheidungsprämissen in Weiterbildungsorganisationen

Entscheidungsprämissen sind nicht nur wandelbar, sie selbst bringen Wandel hervor. Die Möglichkeiten der Veränderung werden durch den Organisationstyp bedingt. Nach dem Ansatz der Entscheidungsprämissen lassen sich Programme, Kommunikationswege und Personal nur begrenzt mobilisieren, also umstellen, substituieren oder untereinander ersetzen. Wie stellt sich dies in Weiterbildungsorganisationen dar?

Programmatisch setzen regulatorische und curriculare Standards jeder Veränderung Grenzen. Auf klassische Zugangskriterien, Prüfungen und Zertifikate kann auch in einer zunehmend digitalisierten Welt nicht verzichtet werden. Es kann mit digitaler Hilfe aber diversifiziert werden, z. B. in Maßnahmen mit niedrigschwelligem Zugang und in höher zertifizierte Angebote. Hinsichtlich der mediendidaktischen Gestaltung, aber auch der Betreuungsqualität dürfte es weiterhin in den meisten Fällen erforderlich sein, dass die Weiterbildungsorganisation trotz digitaler Angebote Präsenzunterricht und -beratung betreibt, in denen persönliche Betreuung stattfindet. Die Tradition und der Profilzuschnitt einer Einrichtung können aufgrund von Beharrungskräften einer tiefergehenden Modernisierung auch entgegenstehen. Insbesondere für gemeinschaftliche Anbieter in Trägerschaft von Kirchen, Parteien oder Gewerkschaften, die spezifische Zielgruppen mit besonderem Interaktionsbedarf adressieren, wurden entsprechende Anpassungsschwierigkeiten bereits empirisch belegt (vgl. Christ u. a. 2021). Eine Leitungsaufgabe ist dann darin zu sehen, Bereichsdenken und Parallelpraktiken auszutarieren. Wie alle Bildungsinstitutionen sind Weiterbildungsanbieter mit einer gewissen Fragmentierung, wie schon genannt der ,losen Koppelung‘, konfrontiert. Kommt es zu Modernisierungen der Programmatik, stellt sich die Herausforderung, auch die unterschiedlichen Fliehkräfte in Form von Expertisen, Arbeitsstilen und Fachkulturen einzufangen.

In den Kommunikationsbeziehungen bestehen ebenfalls Grenzen der Veränderung. Eine flachere Hierarchie, wie sie für viele Weiterbildungsorganisationen mit unterschiedlichen Expertisen besteht, lässt sich nicht in eine „Standardfirma“ umbauen, in der die Dozent*innen als Sachbearbeiter*innen geführt würden. Es ist eine Kunst für sich, Weiterbildungseinrichtungen konstant sowohl wirtschaftlich als auch pädagogisch diszipliniert zu führen. Die „lokale Entscheidungsrationalität“ – gemeint sind z. B. die jeweiligen Vorstellungen von Qualität und Leistung in den jeweiligen Fächern und Fachbereichen – bleibt zwecks Motivation der Beschäftigten erhalten. Jedoch wird man erwarten dürfen, dass sich das Personal gegenüber Weiterentwicklungen veränderungsoffen zeigt. Die lokalen fachspezifischen Expert*innen können z. B. über didaktische Erfordernisse am besten entscheiden, weshalb sie von den Führungskräften einer Weiterbildungsorganisation beispielsweise in regelmäßiger Absprache mittels Konferenzen und Führungskreisen einbezogen werden können.

Zuletzt die Prämisse Personal. Befähigungen in der Weiterbildung werden in der Regel über eine mehrjährige Bildungssozialisation erworben. Bildungsmanager*innen und Dozent*innen haben betriebliche Ausbildungen, Lehrgänge und Trainer*innenqualifizierungen oder/und Berufsakademien, Fachschulen und Hochschulen durchlaufen (vgl. Wißhak et al. 2020). Sie sind in ihren Berufsbiografien gewissermaßen selbst – einst auf der Kund*innenseite – das „Produkt“ von Weiterbildungsorganisationen. Über Jahre gereifte Eignungsprofile können nicht einfach ersetzt werden; auch sind diese Personen nicht unbegrenzt verfügbar. Personalknappheit in der Weiterbildung lässt sich nicht einfach durch neue Arbeits- und Lernprogramme kompensieren. Digitalisierungen machen die Rolle der Wissensvermittler*innen auch nicht weniger relevant, sie artikulieren sie eher um, da aus einem klassischen Lehrkörper zunehmend „Lernbegleiter*innen“ hervorgehen (vgl. in der Allgemeindidaktik Jürgens & Standop 2010).

4 Zwischen den Zeilen: Informalität in der Weiterbildung

In Weiterbildungsorganisationen, die in hohem Maße durch soziales Handeln, Diskussion und schwer standardisierbare Wissens- und Lernprozesse geprägt sind, lässt sich nicht alles durch formale Regeln ordnen. Organisationen bedürfen praktisch überall einer gewissen informalen Prägung, das heißt einer Elastizität des Entscheidens. Informalität kann übersetzt werden mit Unentschiedenheiten in den Entscheidungsspielräumen (vgl. Kühl 2018). Die formalen Entscheidungsprämissen haben insofern informale Entsprechungen.

Während eines Veränderungsprozesses werden beispielsweise eine Reihe programmatischer Voraussetzungen geändert, wie unterrichtet und geprüft werden soll. Da die neuen Bestimmungen sich erst an der Wirklichkeit der Praxis messen müssen, entsteht Wildwuchs: Regeln werden großzügig ausgelegt und uminterpretiert; Vergleichbarkeit und Anrechnung von Leistungen erfolgen fallbezogen; kompliziertere Vorgaben werden gemieden oder kreativ angepasst. Nach einiger Zeit normalisieren – bzw. formalisieren – sich die Abläufe wieder und es entstehen neue Ordnungen. Regelungslücken lockern die Formalstruktur auf; sie bieten ein Ventil und bewahren die Organisation vor zu starren Regelwerken.

In den kommunikativen Beziehungen kommen während eines Organisationswandels netzwerkartige Dynamiken in Gang. Gerade bei Veränderungsprojekten gedeihen die „Beziehungskisten“. Es entstehen Fraktionen und Grüppchen. Man versucht, sich gegenseitig auf die andere Seite zu ziehen; Interessen auch gegen Widerstand durchzusetzen; man bringt alternative Vorschläge ein, nimmt Wind aus den Segeln; diskutiert Sachverhalte immer wieder und bemüht Überzeugungs- und Überredungskünste. Mit dem Ende einer Veränderung schläft dieses Betreiben ein. Eine solche Politisierung kann dazu dienen, Standpunkte zu verdeutlichen und bestenfalls so zu breit akzeptierten Lösungen zu gelangen (vgl. Schütz 2022).

Personalien nehmen auch im informalen Geschehen eine wichtige Rolle ein. Bestimmte Köpfe scheinen bevorzugt, geschont und geschützt zu werden, während andere jedes Mal aufs Neue leer ausgehen. Sympathien und Antipathien sind formal nicht zu regeln. Als wichtige personale Dimensionen treten Kontaktwissen und berufliche Beziehungen (vgl. Baraldi, Corsi & Esposito 1997, S. 130) der oft gut vernetzten Expert*innen hervor, worüber die Organisation nur begrenzt verfügen kann. Von pädagogisch Qualifizierten ist zudem besonderes Geschick zu erwarten, die „heimlichen Spielregeln“ eines Arbeitsablaufs zu erkennen und weiterzuentwickeln, um über diese Wissensvorsprünge informale Spielräume zu nutzen.

5 Implikationen für das Bildungsmanagement

Es steht fest, dass die demografische Veränderung der Belegschaften und die fortschreitende Digitalisierung Programme, Kommunikationswege und Personalien im Weiterbildungssektor noch längere Zeit beeinflussen werden. Die folgende Abbildung fasst wesentliche Überlegungen hierzu zusammen:

Abbildungen

Abbildung 1: Entscheidungs- bzw. Weiterbildungsprämissen und organisatorischer Wandel

Programmatische Entscheidungen werden davon abhängen, ob sie einen Mehrwert für die anvisierte Zielgruppe und das aufgebaute bzw. angestrebte organisatorische Profil bringen. Eine Herausforderung für das Bildungsmanagement bilden die fragmentierte bzw. lose gekoppelte Organisation und die generationsübergreifende, zunehmend wertdifferente Personalstruktur. Eine technologische oder personelle Neuerung lässt sich nicht auf dem Papier implementieren, sondern muss in Bezug auf die Kompatibilität mit der bisherigen Arbeit überprüft werden. Für die Implementierung innovativer Maßnahmen bietet sich in Expertenorganisationen, wozu die Weiterbildung zählt, zudem ein reflexives Monitoring an: Wie beurteilen die Betroffenen die Auswirkungen der Anpassung? Was ist nötig, um die neue Praxis mit Spielräumen zu händeln?

Die Aufgaben der Lehrenden und des Verwaltungspersonals werden sich nicht durch strikt automatisierte computergestützte Arbeitsprozesse ,wegprogrammieren‘ lassen. Entscheidet sich beispielsweise ein Bildungsanbieter für die Ausweitung digitaler Lernangebote, so heißt das nicht, dass die Lehrenden damit überflüssig werden. Selbst stark automatisierte, computergestützte Lehr-/Lernprozesse können das Lernergebnis aufgrund des „Technologiedefizits“ (Luhmann & Schorr 1982) – also einer fehlenden universell richtigen Lehrmethodik – nicht determinieren. Die Rolle der Lehrenden besteht darin, die durch Digitalisierung entstehenden Abweichungen des Einzelfalls zu nutzen und mithilfe personengebundener Fachlichkeit individuelle Beratung für die Lernenden zu gewährleisten (vgl. Wendet & Manhart 2020, S. 156). Bildung bleibt auch in der digitalen Welt ein Vertrauensgut, das durch seine relative Unbestimmtheit an Expertenwissen gebunden ist (vgl. Evans 2020, S. 281).

Darüber hinaus deutet sich an, dass die Entscheidungsprämisse Personal bzw. das menschliche Leistungsvermögen in Zukunft noch höhere Anforderungen zu bewältigen hat (vgl. von Ameln & Wimmer 2016). Durch eine generelle Zunahme der Binnenkomplexität der Organisation – Intensivierungen beim projekthaften Arbeiten, in der Qualitätssicherung, bei der Organisationsentwicklung etc. – können sich die Mitglieder weniger mit gleichbleibenden Aufgaben begnügen (vgl. von Ameln & Wimmer 2016, S. 13). Passend erscheinen Mitglieder, die die Regelungslücken im Betrieb nutzbringend zu händeln wissen.

In eher informaler Hinsicht können verschiedene Generationen nach Franz (2017, S. 94) als eine Art „Bindeglied in der Relationierung zwischen Organisation und Individuum“ interpretiert werden, durch die z. B. wertvolles Erfahrungswissen jenseits formaler Strukturen weitergegeben wird (vgl. ebd.). Auf formaler Ebene werden Weiterbildungsorganisationen bestrebt sein, für intrinsisch motiviertes, qualifiziertes Personal attraktiv zu bleiben. Das bedeutet u. a., dass sich die Organisation auf die größere Heterogenität leistungsmotivational relevanter Erwartungen der Mitglieder einstellt. Während die einen ihre Leistungsbereitschaft an bestimmte Formen der Arbeitszeitregelung und der Arbeitsflexibilität koppeln, sind andere besser über gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen zu motivieren. Schließlich wird die Profilbildung inklusive reputationsbildender Maßnahmen ein relevanter Wettbewerbsfaktor für Weiterbildungsorganisationen bleiben, wenn es darum geht, hoch qualifizierte Mitglieder zu gewinnen (vgl. von Ameln & Wimmer 2016, S. 15).

Speziell im Bildungssektor finden organisatorische Projektierungen starken Anklang. Im Gegensatz zur klassischen Linienorganisation bringen Projekte den Vorteil, dass sich mit ihnen neue Ideen und Impulse erst einmal separat anstoßen lassen, ohne gleich die ganze Organisation zu beanspruchen. Bei erfolgreicher Projektumsetzung können neue Ansätze in den Routinebetrieb überführt werden. Allerdings verkomplizieren die berühmten unklaren Verantwortlichkeiten, wechselnde Aufgaben und Personen zwischen Projekt und Normalbetrieb sowie höhere Arbeitsbelastungen die Arbeit. Regel- und Projektorganisation bedürfen daher einer Professionalisierung des Projektmanagements mithilfe geeigneter Rollen, Methoden und Instrumente des Arbeitens (vgl. Schütz & Röbken 2020; Kalkowski 2017, S. 263).

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Dieser Beitrag bezieht sich insbesondere auf private kommerzielle und gemeinnützige Einrichtungen, Volkshochschulen sowie Einrichtungen in Trägerschaft von gesellschaftlichen Großgruppen, die Weiterbildung als Hauptgeschäftsfeld anbieten und nach Schrader (2019, S. 712) einen Großteil des Anbieterspektrums in der Weiterbildung abdecken.

Autoren

Heinke Röbken, Prof. Dr., Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Professur für Bildungsmanagement.

Marcel Schütz, Dr., Northern Business School Hamburg, Fachbereich Betriebswirtschaft.

Review

Dieser Beitrag wurde nach der qualitativen Prüfung durch das Peer-Review und die Redaktionskonferenz am 17.02.2022 zur Veröffentlichung angenommen.

This article was accepted for publication following a qualitative peer review at the editorial meeting on the 17th February 2022.

Dieser Beitrag bezieht sich insbesondere auf private kommerzielle und gemeinnützige Einrichtungen, Volkshochschulen sowie Einrichtungen in Trägerschaft von gesellschaftlichen Großgruppen, die Weiterbildung als Hauptgeschäftsfeld anbieten und nach Schrader (2019, S. 712) einen Großteil des Anbieterspektrums in der Weiterbildung abdecken.