Governance digitaler Plattformen in der Weiterbildung

1 Einleitung

Digitale Plattformen bilden ein wesentliches organisationales Strukturprinzip der Digitalisierung, die durch verschiedene Steuerungsmechanismen Handlungen von Akteuren regulieren, dauerhaft koordinieren und dadurch soziale Ordnungsbildung hervorbringen. Jedoch wurden digitale Plattformen als organisationales Konzept bislang wenig begrifflich und theoretisch ausbuchstabiert (vgl. Kirchner 2021). Dies spiegelt sich auch in der Weiterbildung wider: So wird hier der Plattformbegriff vor allem in Verbindung mit digitalen Lernumgebungen und Kursmanagementsystemen für synchrone oder asynchrone Weiterbildungsangebote verwendet. Daneben werden auch digitale Weiterbildungsdatenbanken, Buchungs-, Vermarktungs- und Managementsysteme als Plattformen bezeichnet.

Plattformen als umgreifendes Phänomen der Digitalisierung werden in der breiten Öffentlichkeit vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten als Plattformökonomie oder Plattformkapitalismus diskutiert, worunter neue digitale Formen von Arbeit und Wirtschaft subsumiert werden (vgl. Heiland 2018, S. 130). Im Mittelpunkt der Diskussion stehen dabei zumeist große, international agierende Unternehmen der Digitalwirtschaft, deren Geschäftsmodelle auf einer oder mehreren vernetzten digitalen Plattformen basieren, z. B. als digitaler Marktplatz, Vermittlungs- und Maklerdienst, Medien-, Vergleichs- oder Bewertungsportal. Im Zuge dieser Plattformökonomie haben sich auch digitale Weiterbildungsplattformen als Geschäftsmodell vor allem von privatwirtschaftlichen Bildungsanbietern etabliert. Zudem lässt sich beobachten, dass Weiterbildung als Dienstleistung ebenso von digitalen Plattformunternehmen angeboten und vermarktet wird, teils auch in Kooperation mit Bildungs­anbietern (vgl. Grotlüschen 2018). Der Schwerpunkt liegt überwiegend in der beruflichen Weiterbildung und Karriereentwicklung sowie in Fort- und Weiterbildungsangeboten für Betriebe und Unternehmen. Gerade hier besitzen digitale Plattformen als organisationales Prinzip eine weitaus stärkere Relevanz als in der allgemeinen, außerberuflichen Weiterbildung. So lässt sich aus den Ergebnissen der wbmonitor-Umfrage 2019 ableiten, dass Plattformen vor allem von Weiterbildungsorganisationen eingesetzt werden, die insgesamt eine höhere Bandbreite digitaler Medien und Formate aufweisen. Dabei handelt es sich um (Fach-)Hochschulen als Anbieter wissenschaftlicher Weiterbildung, berufliche Schulen, privat-kommerzielle und wirtschaftsnahe Anbieter (Kammern, Innungen, Berufsverbände) sowie betriebliche Bildungseinrichtungen. Der Digitalisierungsgrad von Bildungsveranstaltungen bei Volkshochschulen und anderen gemeinnützigen, partikular orientierten Weiterbildungseinrichtungen ist hingegen deutlich geringer ausgeprägt (vgl. Christ et al. 2020, S. 23 f.). Gleichwohl haben für sie in der jüngsten Vergangenheit – verursacht durch die pandemiebedingte kurzfristige Umstellung auf digitale Lernformate – Plattformen deutlich an Relevanz gewonnen.

Durch diesen Bedeutungszuwachs digitaler Plattformen haben sich Akteurskonstellationen und Steuerungsdynamiken in der öffentlich verantworteten, gemeinwohlorientierten Weiterbildung erweitert und verändert: So lassen sich zum einen neue Akteure wie Plattformbetreiber, Bildungstechnologieunternehmen oder Agenturen verzeichnen, die ihre Dienstleistungen (z. B. digitales Bildungsmarketing, digitale Kurskonzepte) an die Organisationen herantragen. Zum anderen geraten sie durch die Zunahme standortungebundener plattformbasierter digitaler Lernangebote in ein neues Wettbewerbsumfeld. Es sind aber nicht nur diese marktwirtschaftlichen Dynamiken, die eine Konkurrenzsituation jenseits regionaler Grenzen hervorbringen, sondern auch Verbände und Trägerorganisationen nehmen steuernd Einfluss auf den gegenwärtigen Digitalwandel (vgl. Sattler 2020; Sgodda 2021). Exemplarisch steht dafür die vom Deutschen Volkshochschulverband (DVV) gegründete Lernplattform vhs.cloud, die als Infrastruktur für die Umsetzung von Onlinekursen sowie als Vernetzungs- und Kollaborationsplattform fungiert. Angesichts der gegenwärtigen Etablierung von Plattformen und der skizzierten Steuerungsdynamiken werden Chancen, Risiken, Dilemmata sowie mögliche Alternativen einer Plattformökonomie für die gemeinwohlorientierte Weiterbildung und insbesondere für die kommunal verankerten Volkshochschulen diskutiert (vgl. Klemm & Repka 2021; Köck 2021; Schöll 2021). Vor diesem Hintergrund zielt der Beitrag darauf ab, die aktuellen plattformbezogenen Entwicklungen aus einer Governance-Perspektive zu untersuchen und theoretisch einzuordnen. Leitend ist dabei ein analytischer Governance-Begriff, der jenseits eines linearen, staatszentrierten Verständnisses vielfältige Akteure und Formen der sozialen Handlungskoordination in der Weiterbildung umfasst (vgl. Schrader 2008, S. 42). Davon ausgehend werden zunächst die Entwicklung digitaler Plattformen in der Weiterbildung sowie Akteure, Politiken und Koordinationsformen genauer beleuchtet (Kapitel 2). Anschließend werden digitale Plattformorganisationen und ihre immanenten Steuerungsmechanismen theoretisch erschlossen und auf die aktuellen Entwicklungen in der Weiterbildung bezogen (Kapitel 3). Der Beitrag schließt mit einem kurzen Resümee (Kapitel 4).

2 Digitale Plattformen in der Weiterbildung: Akteure, Politiken, Koordinationsformen

In erster Linie haben sich digitale (Weiter-)Bildungsplattformen unter marktförmigen Bedingungen als strategisches Handlungsfeld im Kontext internationaler Hochschulen und privatwirtschaftlicher, kommerzieller Anbieter entwickelt. Vor allem die internationale Expansion von MOOCS (Massive Open Online Courses) hat diese Entwicklung in den 2010er-Jahren vorangetrieben, die im deutschsprachigen Hochschulkontext jedoch nicht den Widerhall gefunden hat, wie er teils prognostiziert wurde (vgl. Hüther et al. 2020). Einflussgebend für die Entwicklung von Bildungsplattformen sind vor allem Unternehmen und Start-ups der sogenannten „EdTech-Branche“ (Educational Technologies), die an bildungstechnologischen Innovationen arbeiten. Schmid (2021) konstatiert auf Basis des EY Startup-Barometers 2021, dass die Investitionen in diesen Sektor in Deutschland im internationalen Vergleich (China, USA, UK) nur sehr gering ausgeprägt sind. Zudem hätten sich nur einzelne bestehende Anbieter am digitalen Weiterbildungsmarkt etablieren können, wie z. B. WBS oder SAP-Training. Führende Weiterbildungsplattformen seien in Deutschland vor allem international agierende Unternehmen wie Degreed.com oder Udacity (vgl. ebd., S. 34). Da EdTech-Unternehmen prinzipiell auch andere Bildungsbereiche bedienen und vermutlich nur wenige Akteure auf den Weiterbildungsbereich spezialisiert sind, ist eher von fragmentierten Akteurskonstellationen auszugehen.

Plattformpolitiken in der Weiterbildung

Daneben erhalten digitale Weiterbildungsplattformen auch von bildungspolitischer Seite zunehmend mehr Aufmerksamkeit, insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie. Aktuell steht der strategische Ausbau einer Nationalen Bildungsplattform für den gesamten Bildungsbereich im Vordergrund, die im August 2020 vom Koalitionsausschuss als Bestandteil der digitalen Bildungsoffensive angekündigt wurde. Es wird darauf abgezielt, bestehende Bildungsplattformen zu einem bundesweit und europäisch anschlussfähigen Plattformsystem zu verbinden und ein möglichst breites Bildungsangebot über einen einheitlichen und niedrigschwelligen Zugang bereitzustellen. Jedoch ist ein solches Vorhaben nicht ganz neu: Bereits 2018 präsentierte der Arbeitskreis Zukunft der Arbeit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bildungsplattform MILLA (Modulares Interaktives Lebensbegleitendes Lernen für Alle), die in der Weiterbildung kontrovers diskutiert wurde.1 Ziel war es, allen Bürger*innen einen kostenlosen Zugang zu modularen und interaktiven Bildungsangeboten zu ermöglichen. Letztlich blieb es bei einer „innerparteilichen Pilotphase“.2 Im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie im Juni 2019 wurde dann ein Innovationswettbewerb zur Entwicklung modularer, interaktiver Lernplattformen angekündigt, der einen niederschwelligen Zugang zu Weiterbildungsangeboten ermöglichen sollte. In 2021 sind insgesamt 35 Forschungs- und Entwicklungsprojekte gestartet, die im Rahmen des Innovationswettbewerbs mit dem Titel INVITE – Digitale Plattform berufliche Weiterbildung ausgewählt wurden und für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden. Die Projekte verorten sich in drei Entwicklungsfeldern: in der Vernetzung bestehender Weiterbildungsplattformen, in der Entwicklung und Erprobung plattformbezogener Innovationen sowie in Lehr-/Lernangeboten, die durch Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt werden (vgl. Zaviska & Hemkes 2021, S. 43). Aus den veröffentlichten Projektsteckbriefen geht hervor, dass sich die Projektverbünde überwiegend aus Anbietern der beruflichen Weiterbildung, wirtschafsnahen Bildungswerken, (Fach-)Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Plattformbetreibern, Bildungstechnologieunternehmen sowie Fach- und Branchenverbänden, Kammerorganisationen, Akteuren der Wirtschaftsförderung und Einzelunternehmen zusammensetzen. Auch die oben genannten privatwirtschaftlichen Anbieter, die bereits digitale Weiterbildungsplattformen betreiben, sind in einige Entwicklungsprojekte involviert.3

Angesichts der eindeutigen bildungspolitischen Schwerpunktsetzung auf berufliche Weiterbildung ist es wenig überraschend, dass Akteure aus dem Spektrum der öffentlich verantworteten Weiterbildung nur marginal vertreten sind. Lediglich das vom DVV koordinierte Projekt KUPPEL ist hier verortet. Im Projekt steht die plattformübergreifende, KI-unterstützte Professionalisierung der Digitalkompetenz von Lehrenden in der Weiterbildung im Mittelpunkt. Dabei werden vhs.cloud und der EULE-Lernbereich der wb-web-Plattform, die am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) entwickelt wurde, synergetisch verzahnt. Daneben ist nur in einem der 35 Projektverbünde eine Volkshochschule beteiligt.4 Gewerkschaftliche, andere partikular orientierte oder freie, gemeinwohlorientierte Einrichtungen, die ebenso Angebote der beruflichen Weiterbildung unterbreiten, sind in den Projektverbünden nicht vertreten.

Volkshochschulverbände als steuernde Akteure

Mit Blick auf die Implementierung digitaler Plattformen im öffentlich verantworteten Weiterbildungsbereich der Volkshochschulen übernehmen vor allem der Dachverband und die Landesverbände eine zentrale steuernde Funktion, von der insbesondere kleine, ressourcenarme Einrichtungen profitieren (vgl. Maier & Rohs 2020). Die vhs.cloud bildet den zentralen Bezugspunkt aktueller Entwicklungen und Diskussionen innerhalb der Community der Volkshochschulen. Ausgehend von der Verbandstrategie der Erweiterten Lernwelten (2015) und im „Manifest zur digitalen Transformation von Volkshochschulen“ (dvv 2019) als „digitaler Heimathafen“ ausgewiesen, wurde 2018 die vhs.cloud auf den Weg gebracht. Sie fungiert als umfassende Lern­managementplattform zur Umsetzung von Online-Kursen mit verschiedenen Tools, Vernetzungs-, Kollaborations- und Informationsfunktionen für Kursteilnehmende, Kursleitende und Mitarbeitende von Volkshochschulen. Zudem können die Mitgliedseinrichtungen in der vhs.cloud eigene Arbeitsbereiche anlegen. Mit Pandemiebeginn haben sich die Registrierungszahlen der vhs.cloud quantitativ enorm erhöht: Von Januar 2020 bis Januar 2021 hat sich die Anzahl erstellter Kurse mehr als verzehnfacht und seit Anfang 2021 sind etwa 90 % aller Volkshochschulen registriert (Kohl & Denzl 2021, S. 256).5 Daneben haben einige Volkshochschullandesverbände eigene Plattformen entwickelt, z. B. regionale Buchungs-, Marketing- oder Vermittlungsplattformen (Bayern, Sachsen, Schleswig-Holstein). Als Bestandteil der verbandlichen Plattformstrategien können zudem die vielfältigen Unterstützungs-, Beratungs- und Fortbildungsangebote für die Nutzung der vhs.cloud betrachtet werden (vgl. Maier & Rohs 2020; Sgodda 2021).

Fragmentierte Strukturen und neue Konkurrenzdynamiken

Aus steuerungstheoretischer Sicht lässt sich resümieren, dass die skizzierten plattformbezogenen Akteurskonstellationen und Politiken auf separierte und teils fragmentierte organisationale Felder hindeuten, denen sich Organisationen als zugehörig und legitimationsbedürftig betrachten und innerhalb derer sich Beobachtungs-, Interdependenz- und Machtverhältnisse zwischen den Organisationen (dauerhaft) etablieren (vgl. DiMaggio & Powell 2009). Digitale Bildungsplattformen sind in dieser Hinsicht zunächst als Produkt eines internationalen organisationalen Feldes einzuordnen, in dem sich Akteure wie Bildungstechnologieunternehmen oder große, international agierende kommerzielle (MOOCS-)Anbieter wie courseria marktwirtschaftlich koordinieren (vgl. Schmid 2021). Der Bezugspunkt liegt hier stärker bei hochschulischer Bildung, die Grenzen zur Weiterbildung sind jedoch fließend. Zudem zeigen sich Berührungspunkte zu einem überwiegend national geprägten organisationalen Feld der beruflichen und betrieblichen Weiterbildung, das vor allem in den Akteurskonstellationen des BMBF-Innovationswettbewerbs zum Ausdruck kommt. Neben marktwirtschaftlicher Koordination verweisen die Projektverbünde zur Plattformentwicklung auf die Bedeutung von Vernetzung und Kooperation. Auch in den Plattformstrategien der Volkshochschulen als organisationales Feld spiegeln sich diese Koordinationsformen deutlich wider. Zugleich verweisen der hohe Stellenwert der Verbände und deren partizipativer Entwicklungsansatz von Plattformen (z. B. durch Arbeitsgruppen und Pilotprojekte, vgl. Sattler 2020) auf eine gemeinschaftliche Koordinationsform, die durch starke Bindung, geteilte Überzeugungen („Bildung für alle“) und professionelle Ansprüche geprägt ist (vgl. Kussau & Brüsemeister 2007, S. 41). Die Bindung der Mitgliedsorganisationen wird hier auch über die Implementierung einer gemeinsamen Plattform erzeugt. Gleichzeitig geraten diese jedoch in eine neue Wettbewerbs- und Konkurrenzsituation untereinander sowie mit privatwirtschaftlichen Akteuren, die in der Vergangenheit so nicht bestand (vgl. Schöll 2021). Dadurch kommt es zu neuartigen Überlappungen der vormals stärker separierten und teils fragmentierten organisationalen Felder in der Weiterbildung. Mit Blick auf die verbandlichen Plattformstrategien ist zu konstatieren, dass sie einerseits auf die Lösung von Koordinationsproblemen im Zuge des digitalen Wandels abzielen, die von vielen Einzelorganisationen alleine nur schwer bewältigt werden können. Andererseits verändert sich durch die gemeinsamen Plattformen das Verhältnis und die Koordination von Mitgliedsorganisationen und Verbänden, da letztere neue (koordinierende) Funktionen übernehmen und teils auch digitale Lernangebote unterbreiten wie z. B. das vhs-Lernportal des DVV. Auch hierhin deutet sich eine neue Konkurrenzdynamik zwischen Verbands- und Mitgliedsorganisationen an. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass einige Volkshochschulen eigene digitale Lernplattformen aufgebaut haben, wodurch sie die Verbandsaktivitäten nicht durchweg als Mehrwert betrachten. Aus empirischer Sicht wären hier die wechselseitigen (Legitimations-)Erwartungen zwischen Verbands- und Mitgliedsorganisationen von Interesse und ob die Mitglieder unter Legitimationsdruck geraten, sich an der vhs.cloud zu beteiligen.

Vor dem Hintergrund, dass die meisten Bildungsplattformen in der Privatwirtschaft entstanden sind, wirken die skizzierten bildungspolitischen Plattformstrategien indes zeitlich nachgelagert. Durch das politische Investment in die berufliche Weiterbildung wird dieses organisationale Feld als Kontext von Weiterbildungsplattformen stabilisiert. Hier bleibt abzuwarten, welche Steuerungsimpulse von den aktuellen Entwicklungsprojekten auf den Bereich der öffentlichen, gemeinwohlorien­tierten Weiterbildung ausgehen. Zudem ist es aktuell offen, wie der zentralistisch anmutende Regulierungsanspruch einer Nationalen Bildungsplattform angesichts der bereits bestehenden fragmentierten und überwiegend marktförmig ausgerichteten Plattformstrukturen in der Weiterbildung verwirklicht werden kann.

3 Steuerungsmechanismen digitaler Plattformorganisationen

Digitale Plattformen sind durch eine interaktiv angelegte Netzwerk- und Schnittstellenstruktur gekennzeichnet, über die Informationen, Produkte und Dienstleistungen zugänglich gemacht werden. Akteure können in Plattformarchitekturen unterschiedlich konstelliert sein, beispielsweise als Kund*innen oder als gleichzeitige Produzent*innen und Konsument*innen einer Leistung (z. B. Ebay-Kleinanzeigen). Je mehr Akteure auf einer Plattform aktiv sind, umso stärker werden Netzwerkeffekte erzeugt, wodurch sich Reputation und potenzieller Nutzen erhöhen (können). Die Basis digitaler Plattformen liegt in cloudbasierten Technologien, die flexibel und dynamisch anpassbar sind sowie einen ort- und zeitunabhängigen Zugriff ermöglichen. Außerdem liegt den meisten Plattformen eine systematische, algorithmische Erfassung und Verwertung von Nutzerdaten zugrunde, „die als ‚neues Öl‘ das Rohmaterial des Geschäftsmodells darstellen“ (Heiland 2018, S. 133). Nutzerdaten bilden somit den Kristallisationspunkt der Plattformökonomie, um bestehende Produkte und Dienstleistungen an das Verhalten und die Bedürfnisse anzupassen und weiterzuentwickeln. Erzeugt werden Nutzerdaten u. a. über Bewertungs- und Evaluationssysteme, die Kontroll- und Qualitätsansprüche seitens der Nutzenden erfüllen und dadurch zugleich die Bindung, Attraktivität und letztlich die Reputation der Plattform verstärken sollen.

Organisationen und Digitalisierung zwischen enger und loser Kopplung

Ausgehend von diesen basalen Strukturelementen hat Kirchner (2021) digitale Plattformen als Organisationsform theoretisch genauer konturiert. Die Grundlage bildet ein Verständnis von Organisationen als lose gekoppelte Systeme, wie es Weick (1976) am Beispiel von Bildungseinrichtungen entwickelt hat. Auch in der Weiterbildungsforschung wurde dieser theoretische Ansatz vielfach rezipiert, um die Beschaffenheit und Besonderheit von Weiterbildungsorganisationen theoretisch bestimmen und erklären zu können (vgl. Hartz & Schardt 2010). Das Konzept der losen Kopplung betont die relative Autonomie einzelner Elemente, die sich verändern oder auflösen können, die in ihrer Wirksamkeit jedoch tendenziell begrenzt bleiben und die Organisation in ihrer Gesamtheit nicht tangieren müssen (vgl. Kuper 2001, S. 92). Anknüpfend an das Theorem von Weick ist anzunehmen, „dass sich Digitalisierung und Organisationen miteinander in einem Wechselverhältnis von fester und loser Kopplung verbinden“ (Kirchner 2021, S. 6). Die Gestalt und Funktionsweisen von Organisationen als lose gekoppelte Systeme wandeln sich entlang von sechs Mechanismen der Digitalisierung: Während Verdatung, Vernetzung und Automatisierung eine zunehmend feste Kopplung sozialer Prozesse mit digitaler Technik hervorrufen, bringen Delokalisierung, Delegation und Intermediation einen stärkeren Organisationswandel hervor, da sie die Bindung an Orte, Ressourcen und Ergebnisse auflösen (vgl. ebd., S. 6 f.). Dabei konzentrieren sich diese Mechanismen insbesondere in digitalen Plattformen als soziale Formen, indem sie einerseits Verbindungen ermöglichen, ordnen und kuratieren (durch Verdatung, Vernetzung und Automatisierung), andererseits als „Intermediär die unmittelbare Verantwortung für die delegierten Ressourcen und die vermittelten Ergebnisse“ (ebd., S. 8) an andere Elemente (z. B. Nutzer*innen der Plattformen) abgeben. Ausgehend von diesen sechs Mechanismen sind vielfältige Ausprägungen digitaler Plattformorganisationen mit spezifischen engen oder losen Kopplungen denkbar.

Kern, Rand und Schnittstellen als Plattformarchitektur

Des Weiteren bestimmt Kirchner (2021) ein „allgemeines Architekturmuster“ (ebd., S. 8) digitaler Plattformorganisationen, bestehend aus Kern, Rand und Schnittstellen, das mithilfe digitaler Technik (z. B. Apps, Websites, Datenbanken) eine spezifische soziale Ordnung (re-)produziert. Den Kern bildet eine formale Organisation (z. B. ein Unternehmen), die wiederum Schnittstellen technologisch definiert und kontrolliert, über die sich Externe (z. B. Nutzer*innen) an den Rand der Plattform koppeln und „damit Teil einer plattform-vermittelten Ordnung [werden], die den Nutzeraktivitäten zugrunde liegt (…), beispielweise in einem sozialen Netzwerk oder auf einem digitalen Marktplatz“ (ebd., S. 9). Dabei sind es gegenwärtig vor allem gewinnorientierte Unternehmen, die als „Kernorganisatoren“ digitaler Plattformen agieren und Märkte monopolisieren. Insbesondere hierin liegt die Kritik an der Plattformökonomie, denn die Kernorganisatoren entscheiden über die Regeln der Plattform, implementieren diese über Schnittstellen und allgemeine Verhaltensregeln, wodurch sie zugleich die Nutzer*innenaktivitäten kontrollieren. Zwar wirken Plattformen oftmals inklusiv, doch „ein Mechanismus, der eine umfassende Teilhabe oder Entscheidungsrechte der Externen vorsieht, existiert üblicherweise nicht“ (ebd., S. 11). Darin verdeutlicht sich, dass die ökonomisch ausgelegten Plattformorganisationen vornehmlich auf einem hierarchischen Steuerungsansatz basieren. In dieser Hinsicht grenzen sie sich vom Organisationsansatz lose gekoppelter Systeme (Weick) ab, bei dem die gekoppelten Einzelelemente in relativer Autonomie agieren. Daneben existieren Ansätze, die, jenseits von Logiken der Ökonomie und Effizienz, Plattformen als gemeinschaftliches Eigentum betrachten, über die etwa gesellschaftliche Integration, Partizipation und Kooperation ermöglicht werden sollen (vgl. Scholz 2016). Ähnliche Motive spiegeln sich auch in den skizzierten Plattformstrategien der Volkshochschulverbände wider, wenngleich auch hier Vermarktung und effiziente Organisation eine Rolle spielen (vgl. Klemm & Repka 2021).

Monopolstellung von Kernorganisationen und partizipativer Ansatz

Unter Steuerungsgesichtspunkten ist vor allem die Frage relevant, wer als Kernorganisator die Schnittstellen definiert und reguliert. In der Weiterbildung sind dies nicht nur die Anbieter selbst, sondern es sind auch andere Organisationen wie z. B. Bildungstechnologieunternehmen. Im Volkshochschulkontext fungieren aktuell vor allem die Verbände als Kernorganisatoren, die augenscheinlich einen partizipativen Ansatz bei der Plattformausgestaltung verfolgen, indem die Mitgliedsorganisationen die Schnittstellen zu ihren digitalen Kursen selbst verwalten. Angesichts der skizzierten gemeinschaftlichen Koordinationsform ist anzunehmen, dass die Verbände hier entgegen einer prinzipiellen Monopolstellung als Kernorganisator und eines hierarchischen Steuerungsprinzips agieren, um die Autonomie ihrer Mitgliedsorganisationen zu wahren und Verbandsbindung zu erzeugen.

Darüber hinaus beeinflussen die sechs beschriebenen Mechanismen die Art und Weise, wie sich Akteure im Kontext von Weiterbildungsplattformen koordinieren. Aus den Projektsteckbriefen des BMBF-Innovationswettbewerbs lässt sich entnehmen, wie die Mechanismen in den weiterbildungsbezogenen Plattformorganisationen gegenwärtig konstelliert werden. Vernetzung, Verdatung und Automatisierung bilden hier zentrale Bezugspunkte, indem beispielsweise KI-basierte Chatbot- und Assistenzsysteme zur Unterstützung und Weiterbildungsberatung von Adressat*innen entwickelt oder Nutzungsdaten zwecks Matching individueller Lernbedarfe und arbeitsmarktpolitischer, betrieblicher Anforderungen sowie in Bezug auf passgenaue Lernformate und -inhalte algorithmisch erschlossen werden. Auch die Plattformorganisationen im Volkshochschulkontext beruhen auf den skizzierten Mechanismen, indem die Verbände hier intermediäre, kurative Funktionen übernehmen (Intermediation), die Verantwortung für die Umsetzung der digitalen Lernangebote jedoch weiterhin bei den einzelnen Einrichtungen liegt (Delegation). Aktuell wird vor allem die Delokalisierung durch digitale Plattformen diskutiert (Loslösung der festen Kopplung von Organisationen und einem konkreten Ort), denn dadurch verliert das „Territorialprinzip“ der Volkshochschulen an Bedeutung, deren öffentlicher Bildungsauftrag und Finanzierung kommunal eingebettet sind (vgl. Klemm & Repka 2021, S. 58).

Vor diesem Hintergrund bieten die vorgestellten Mechanismen einen Erklärungsansatz, warum sich digitale Plattformorganisationen steuernd auf die Handlungen und Koordinationsanforderungen von kollektiven und individuellen Akteuren in der Weiterbildung auswirken und wie sich diese gegenwärtig verändern. Im Diskurs werden Plattformen selbst als Akteure betrachtet, jedoch „ist ein technischer Determinismus zurückzuweisen, der behauptet oder nahelegt, die Digitalisierung würde automatisch zu dieser oder jener Entwicklung führen“ (Kerres & Buntnis 2020, S. 20). In Bezug auf Plattformen sind zudem Adressat*innen und Teilnehmende der Weiterbildung als Steuerungsakteure zu berücksichtigen, da von ihnen durch Bewertungs- und Evaluationssysteme Netzwerk- und Reputationseffekte ausgehen, die den (Fort-)Bestand digitaler Weiterbildungsplattform legitimieren. Aus Sicht der öffentlich verantworteten und gemeinwohlorientierten Weiterbildung ist zu fragen, welche Adressat*innen tatsächlich über Plattformen erreicht werden und welche nicht.

4 Resümee

Auch wenn bislang empirische Forschungen zu digitalisierungsbezogenen Steuerungsstrukturen, Akteurskonstellationen und ihrem Koordinationsgefüge in der Weiterbildung noch ausstehen, so lässt sich dennoch bilanzieren, dass die skizzierten Mechanismen der Digitalisierung die bestehenden institutionellen und organisationalen Strukturen verändern. Digitale Plattformorganisationen greifen in bestehende Aufbau- und Ablauforganisationen ein und „transformieren interne Beziehungen, aber auch die Verbindungen zur Organisationsumwelt“ (Kirchner 2021, S. 20). Mittel- und langfristig werden sich sowohl die organisationalen Felder in der Weiterbildung als auch die organisationale Formgebung selbst wandeln, auch wenn die Reichweite digitaler Plattformen (jenseits pandemischer Notlagen) aktuell noch nicht abzuschätzen ist. Durch die Erfahrungen in der Pandemie wurde die Notwendigkeit sozialen Austauschs im lokalen Nahbereich jenseits des Digitalen offenkundig. Volkshochschulen haben sich hierzu in ihrer Bedeutung als Bildungs- und Begegnungsorte positioniert (vgl. Sgodda 2021). Gleichzeitig sind plattformbasierte Bildungszugänge zukünftig nicht mehr wegzudenken. Die Einführung digitaler Plattformen stellt jedoch selbst noch keine Innovation dar, auch wenn dies im populärwissenschaftlichen Management- und Organisationsentwicklungsdiskurs zuweilen suggeriert wird. Stattdessen liegt die Herausforderung des Weiterbildungsmanagements darin, jenseits einer einseitigen technologisch-organisatorischen Auslegung Entwicklungsprozesse in den Organisationen anzustoßen, die erwachsenenpädagogisch und mediendidaktisch sinnvoll eingebettete Verknüpfungen und Übergänge zwischen analogen und digitalen Formaten hervorbringen und verstetigen. Dabei wird es auch darum gehen, die skizzierten Steuerungsmechanismen digitaler Plattformorganisation systemisch einzuordnen und auszugestalten.

Literatur

Christ, J., Koscheck, S., Martin, A., Ohly, H., & Widany, S. (2020). Digitalisierung – Ergebnisse der wbmonitor Umfrage 2019. BIBB. https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/​de/publication/show/16685.

DiMaggio, P. D., & Powell, W. W. (1983/2009). Das „stahlharte Gehäuse“ neu betrachtet: Institutionelle Isomorphie und kollektive Rationalität in organisationalen Feldern. In: S. Koch, & M. Schemmann (Hg.). Neo-Institutionalismus in der Erziehungswissenschaft. Grundlegende Texte und empirische Studien. Springer VS. S. 57–85.

Grotlüschen, A. (2018). Erwachsenenbildung und Medienpädagogik: LinkedIn & Lynda, XING und Google als Bildungsanbieter. In: Medienpädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 30. S. 94–155.

Hartz, S., & Schardt, V. (2010). (Organisations-)theoretische Bezüge in erwachsenenpädagogischen Arbeiten. Eine Bestandsaufnahme. In: K. Dollhausen, T. C. Feld, & W. Seitter (Hg.). Erwachsenenpädagogische Organisationsforschung. VS Verlag. S. 21–43.

Heiland, H. (2018). Review-Artikel: Zum aktuellen Stand des Plattformkapitalismus. Industrielle Beziehungen. In: Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management, 25 (1). S. 128–139.

Hüther, O., Kosmützky, A., Asanov, I., Bünstorf, G., & Krücken, G. (2020). Massive Open Online Courses After the Gold Rush: Internationale und nationale Entwicklungen und Zukunftsperspektiven. Institutionelles Repositorium der Leibniz Universität Hannover. LCSS Working Papers, Nr. 4. https://www.repo.uni-hannover.de/handle/123456789/​9831.

Kerres, M., & Buntins, K. (2020). Erwachsenenbildung in der digitalen Welt: Handlungsebenen der digitalen Transformation. In: Hessische Blätter für Volksbildung, 70 (3). S. 11–23.

Kirchner, S. (2021). Kommt jetzt die Plattformgesellschaft? Grundlagen, Organisationen und Perspektiven in der digitalen Transformation. Working Paper „Fachgebiet Digitalisierung der Arbeitswelt“, Nr. 03. Technische Universität Berlin.

Klemm, U., & Repka, M. (2021). Chancen und Herausforderungen einer Online-VHS. Volkshochschulen auf dem Weg zur Digitalisierung von Bildung. In: Hessische Blätter für Volksbildung, 71 (2). S. 45–67.

Köck, C. (2021). Irgendwo, irgendwie, irgendwann? – Überlegungen zur Präsenz (in) der Volkshochschule. In: Hessische Blätter für Volksbildung, 71 (3). S. 85–92.

Kohl, J., & Denzl, L. (2021). Corona-Pandemie und die Folgen für die Weiterbildung. In: S. Widany, E. Reichart, J. Christ, & N. Echarti (Hg.). Trends der Weiterbildung. DIE-Trendanalyse 2021. Bertelsmann. S. 249–275.

Kuper, H. (2001). Organisationen im Erziehungssystem. Vorschläge zu einer systemtheoretischen Revision des erziehungswissenschaftlichen Diskurses über Organisation. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 4 (1). S. 83–106.

Kussau, J., & Brüsemeister, T. (2007). Educational Governance: Zur Analyse der Handlungskoordination im Mehrebenensystem der Schule. In: H. Altrichter, T. Brüsemeister, & J. Wissinger (Hg.). Educational Governance: Handlungskoordination und Steuerung im Bildungssystem. Springer VS. S. 12–54.

Maier, U., & Rohs, M. (2020). Volkshochschulen im Krisenmodus oder Corona als Chance? Erfahrungen aus Rheinland-Pfalz. In: weiter bilden, 27 (4). S. 39–41.

Sattler, C. (2020). Ein Crashkurs für den digitalen Wandel in den Volkshochschulen. Mit der vhs.cloud die Krise als Chance nutzen. In: dis.kurs, 02. S. 26–27.

Schmid, U. (2021). Verheißungen, Visionen und Realität. Aktuelle Situation und Trends der EdTech-Branche. In: weiter bilden, 28 (2). S. 32–35.

Schöll, I. (2021). Entgrenzung, Dematerialisierung und Amazonisierung. Fragen und Anmerkungen zur Digitalisierung in und nach der Pandemie. In: weiter bilden, 28 (4). S. 53–56.

Scholz, T. (2016). Platform Cooperativism. Challenging the Corporate Sharing Economy. Rosa Luxemburg Foundation.

Schrader, J. (2008). Steuerung im Mehrebenensystem der Weiterbildung – ein Rahmenmodell. In: S. Hartz, & J. Schrader (Hg.). Steuerung und Organisation in der Weiterbildung. Verlag Julius Klinkhardt. S. 31–64.

Sgodda, R. (2021). Volkshochschulen und die Coronapandemie: Bewältigungsperspektiven. In: Hessische Blätter für Volksbildung, 71 (2). S. 41–49.

Weick, K. E. (1976). Educational Organizations as Loosely Coupled Systems. In: Administrative Science Quarterly, 21. S. 1–19.

Zaviska, C., & Hemkes, B. (2021). INVITE – zur Mitgestaltung eingeladen. In: weiter bilden, 28 (2). S. 43.

Autor

Matthias Alke, Jun.-Prof. Dr., Juniorprofessor für den Arbeitsbereich Erwachsenenbildung/Weiterbildung am Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.

Review

Dieser Beitrag wurde nach der qualitativen Prüfung durch das Peer-Review und die Redaktionskonferenz am 17.02.2022 zur Veröffentlichung angenommen.

This article was accepted for publication following a qualitative peer review at the editorial meeting on the 17th February 2022.

Dies zeigt u. a. die Diskussion auf der Plattform wb-web: https://wb-web.de/milla-modulares-interaktives-lebensbegleitendes-lernen-fur-alle.html (Zugriff am 06.01.2022).

Informationen und Zitat sind der folgenden Internetseite entnommen: https://masterplan.com/cdu (Zugriff am 06.01.2022).

Dabei handelt es sich um die Volkshochschule Pinneberg e. V. im Projektverbund WISY@KI – Dein persönlicher Weiterbildungsscout. Vgl. https://www.bibb.de/dokumente/pdf/INVITE_Projektsteckbriefe_Projektstart_Sep_2021.pdf (Zugriff am 06.01.2022).

Kohl und Denzl (2021, S. 256) weisen in Bezug auf die vorliegenden Nutzungsdaten der vhs cloud darauf hin, dass „die Anzahl erstellter Kurse nicht deren tatsächlichen Nutzung widerspiegelt. In welchem Umfang erstellte Kurse von Teilnehmenden tatsächlich genutzt oder nicht genutzt wurden, lässt sich hier somit nicht aufzeigen“.