1 Einleitung
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist mit ihren Agenturen für Arbeit und den Jobcentern eine der größten Anbieterinnen von Beratungen in Bildung, Beruf und Beschäftigung in Deutschland. In über 150 Arbeitsagenturen mit rund 600 Geschäftsstellen sowie in den über 300 kommunalen Jobcentern werden nach eigenen Angaben täglich ca. 14.000 Beratungen geführt.1 Die Beratungen adressieren dabei nicht nur arbeitslose oder arbeitssuchende Personen, sondern können in den Agenturen für Arbeit auch unabhängig vom Beschäftigungsstatus in Anspruch genommen werden. Mit dem Umbau zur Bundesagentur seit Mitte der 2000er Jahre und der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden auch neue Anforderungen an die Beratung rechtlich verankert. Wie kaum in einem anderen Bereich stehen hier die Beratungen in Spannungsfeldern von individueller, organisationaler und gesellschaftlich-gesetzgeberischer Verantwortung. Der Beitrag geht daher den Fragen nach, wie das Beratungsangebot der BA sozialrechtlich verortet ist und wie der gesetzliche Auftrag sowohl konzeptionell als auch organisational umgesetzt wird.
2 Rechtliche Grundlagen der Beratungen der BA
Die berufsbezogenen Beratungen der BA werden im Wesentlichen durch das SGB II, III und IX definiert. Nach § 1 des SGB II ist die Beratung eine Leistung für Arbeitssuchende in der Grundsicherung. Durch den Grundsatz des Förderns und Forderns (§§ 14,16 ff. SGB II) sind zudem verbindliche Verträge eingeführt worden, die die Mitwirkungspflichten der Kund*innen im Leistungsbezug regeln. In diesem Zusammenhang wurde in einem Urteil zur Sanktionspraxis durch das Bundesverfassungsgericht im Bereich des SGB II festgestellt, dass nicht mehr als 30 Prozent des Regelsatzes des Arbeitslosengeldes II von Personen über 25 gekürzt werden dürfen (vgl. BVerfGE-Urteil vom 5. November 2019, Az. 1 BvL 7/16). Die Beratungs- und Integrationsgespräche werden damit auf freiwillige Mitwirkung der Leistungsempfänger*innen ausgerichtet (vgl. Wolf 2021).
Im § 29 SGB III wird Beratung dagegen als ein Angebot definiert, das Arbeits- und Ausbildungssuchende unabhängig von einem Leistungsbezug sowie Arbeitgeber*innen offensteht, wobei sich Art und Umfang des Angebots nach den Beratungsbedarfen der Ratsuchenden zu richten haben. In den §§ 30–33 SGB III ist die Berufsberatung geregelt, die u. a. Eignungsfeststellungen und die Berufsorientierungen umfassen. Der § 34 SGB III hat die Beratungen von Arbeitgeber*innen zum Gegenstand, diese unterstützen bei Besetzungs- und Qualifizierungsfragen. Zudem werden im SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Beratungsangebote definiert, die über Rechte und Verfahrenswege aufklären sollen, um individuelle Rechte wahrzunehmen. Auch in § 11 SGB XII zur Sozialhilfe wird Beratung zur Unterstützung und Aktivierung erwähnt, um Antragsteller*innen über ihre Rechte zu informieren und sie dazu zu befähigen, geltende Ansprüche wahrzunehmen sowie die sich aus den Leistungen ableitenden Pflichten zu verstehen.
Sowohl gesetzliche (Neu-)Regelungen als auch Gerichtsurteile werden kontinuierlich in fachliche Weisungen durch die Zentrale der BA überführt und prägen die Beratungspraxis. Die besondere Bedeutung der leistungsrechtlichen Beratung für Personen im Bezug von Arbeitslosengeld II (ALG II) wurde z. B. im Rechtsvereinfachungsgesetz aus dem Jahr 2016 hervorgehoben (vgl. Rübner & Weber 2021, S. 12). Letzte weitreichende Änderungen sind im Zuge des sogenannten Qualifizierungschancengesetzes insbesondere im § 82 SGB III vorgenommen worden. Die hier u. a. geregelten Förderungen beruflicher Fortbildungen adressieren insbesondere Arbeitnehmer*innen, die im besonderen Maße vom technologischen Strukturwandel betroffen sind. Da nur jene Weiterbildungen gefördert werden, an denen sich die Arbeitgeber*innen im angemessenen Umfang finanziell beteiligen, ist zu erwarten, dass neben Weiterbildungsberatungen mit individuellen auch Qualifizierungsberatungen mit kollektiven Fallbezügen an Bedeutung gewinnen werden.
3 Beratungsformate der BA
Im Zuge der Reformen wurden nicht nur gesetzliche, sondern auch organisationale und formatspezifische Differenzierungen der Beratungsangebote vorgenommen. Hierbei ist auch rechtskreisbezogen zwischen dem SGB II und SGB III bzw. institutionell zwischen den Agenturen für Arbeit und den Jobcentern zu differenzieren. Die idealtypische organisationale Gliederung der Beratungen in den Agenturen für Arbeit ist in Zuständigkeiten von Teams für Berufsberatungen (Berufsberatung vor und im Erwerbsleben), Teams für Reha-Beratungen, Teams für die Interne ganzheitliche Integrationsberatung (INGA) für Personen mit multiplen Problemlagen, Migrationsteams, Jugendberufsagenturen sowie den Arbeitgeberservice für Unternehmen.
Die Jobcenter weisen aufgrund ihrer kommunalen Verankerung und der regionalen Arbeitsmarktsituation keine einheitliche Struktur auf. Es lassen sich aber auch hier Teams im ALG-II-Bezug nach Zielgruppen unterscheiden: Teams für Personen unter und über 25 Jahre, Migrationsteams, das Fallmanagement für Personen mit multiplen Vermittlungshemmnissen, die Leistungsberatung sowie optionale Spezialteams für bestimmte Zielgruppen (z. B. ältere Arbeitsuchende).
Die Teams lassen sich den BA-Beratungsformaten der sogenannten Orientierungs- und Entscheidungsberatung (OEB) und der Integrationsbegleitenden Beratung (IBB) zuordnen. Letztere wurde insbesondere für Beratungsaufträge für Personen im Leistungsbezug entwickelt und orientiert sich an den Schritten Profiling, Zielklärung, Strategieentwicklung und Umsetzung/Planung. Die Mitwirkungspflichten, die sich aus den Gesetzen ableiten, stehen dabei im Mittelpunkt. Die OEB setzt dagegen auf Freiwilligkeit der Ratsuchenden, ist stärker kompetenzorientiert angelegt und in der Wahl des methodischen Inventars flexibler. Sowohl die OEB als auch die IBB sind Bestandteil der Beratungskonzeption der BA.
4 Fachliche Grundlage der Beratungen der BA
Die fachliche Grundlage der Beratungen der BA, die auch die Basis für interne Qualifizierungen bildet, ist die Beratungskonzeption (BeKo), die im Jahr 2011 in einer ersten und im Jahr 2021 in einer überarbeiteten Form veröffentlicht wurde. Im Folgenden werden Zielsetzung und zentrale Elemente vor dem Hintergrund des gesetzlichen Auftrages skizziert.
4.1 Zielsetzungen der BeKo
Die Einführung der BeKo ist der Versuch der BA, die Qualität ihrer zentralen Dienstleistung zu sichern, den Mitarbeiter*innen eine fachliche Basis bereitzustellen und ihren gesetzlichen Auftrag umzusetzen. Die BeKo ist formatübergreifend angelegt und liefert ein rechtskreisübergreifendes Verständnis von Beratung (vgl. ebd., S. 11). Zudem kann die BeKo als Antwort auf öffentliche Kritik und als Reaktion auf Studien betrachtet werden, die die institutionelle Problematik der „Beratung unter Zwang“ (Hielscher & Ochs 2009, S. 33) bzw. die sich schwer miteinander zu vereinbarenden Aufträge von Beratung und Kontrolle (vgl. Baethge-Kinsky et al. 2007) aufzeigen. So konnte gezeigt werden, dass die Beratungen häufig einseitig durch die Fachkräfte der BA gesteuert werden und es primär um einen IT-gesteuerten Matching-Prozess zwischen Arbeitskraftprofilen und -märkten ging (vgl. Hielscher & Ochs 2009, S. 113 ff.). Eine weitere Studie kam auf Basis einer inhaltsanalytischen Auswertung von über 380 Beratungsgesprächen aus dem Rechtskreis des SGB II und des SGB III zu dem Befund, dass Kund*innen zwar Anliegen vorbringen konnten, die Fachkräfte die Beratungen aber mittels „bürokratisch-verwaltender Handlungsmuster“ durchführten (vgl. Schütz et al. 2011, S. 160). Diese Ergebnisse machten nach Hofmann et al. (vgl. 2014, S. 279) deutlich, dass qualifikatorische und konzeptionelle Probleme in der Beratungspraxis der BA existierten, die man mit der BeKo und ihren zentralen Elementen lösen wollte.
4.2 Zentrale Elemente der BeKo
Zentrale Elemente der BeKo sind die Merkmalsbeschreibungen professioneller Beratung (a), die die Basis für die Handlungsprinzipien (b) und die Beschreibung eines Prozessmodells der BA-Beratung (c) darstellen. Letzteres ist für die beiden Formate der OEB und IBB spezifiziert worden.
- Professionelle Beratung wird in der BeKo als befristete Kommunikation definiert, die auf Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit der Ratsuchenden abzielt. Ausgangspunkte sollen deren Beratungsbedarfe sein, um in konstruktiver Arbeitsbeziehung auf Basis von beraterischem Fach- und Prozesswissen gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Hierfür sind qualifizierte Berater*innen notwendig, deren Handeln wissenschaftlich fundiert ist (vgl. Rübner & Weber 2021, S. 21 ff.). Diese Merkmale sind auch Konsens (erwachsenen-)pädagogischer Beratungsdefinitionen, werden in der BeKo jedoch für den Kontext der BA weiter spezifiziert. Anliegen der Ratsuchenden werden beispielsweise „als abgegrenzte und identifizierbare Themen oder Problemlagen“ ausgewiesen, die sich aus dem gesetzlichen Auftrag ergeben, berufsbezogene Beratung zur Integration in Arbeit anzubieten (vgl. ebd., S. 24). Die wissenschaftliche Grundlage der Beratungen ist gemäß der BeKo die Wirkungsforschung sowie die Fundierung mittels der Berufs- und Laufbahnforschung (vgl. ebd., S. 27 f.). Bei den genannten Outcome-orientierten Wirkfaktoren spiegeln sich neben individuellen (z. B. „berufsbiografische Gestaltungskompetenz“) auch gesellschaftspolitische (z. B. „Ausschöpfung des Fachkräftepotenzials“) sowie organisationale Zielsetzungen der BA (z. B. „Kosteneinsparungen durch effektivere Stellenvermittlung“) wider (vgl. ebd., S. 30). Während für die OEB die Freiwilligkeit als zentral herausgestellt wird, werden weder der Umgang mit Zwang noch potenzielle Sanktionen in der IBB problematisiert.
-
Im Hinblick auf die Beziehungsgestaltung zwischen Berater*innen und Ratsuchenden werden beraterische Handlungsprinzipien formuliert. Vergleicht man die Handlungsprinzipien der ersten mit denen der aktuellen Fassung, fällt auf, dass sich hier gesetzliche Bestimmungen spiegeln und neue Akzentuierungen vorgenommen werden (vgl. Tab. 1).
Tabelle 1: Beraterische Handlungsprinzipien – 2011 und 2021 (Quellen: Rübner & Weber 2021; Rübner & Sprengard 2011)
BeKo (2011)
BeKo (2021)
Ernstnehmen des Kunden und bestmögliche Unterstützung
Kund*innen und ihre Diversität ernst nehmen
Kund*innen als aktive und Eigenverantwortung tragende Partner*innen
Eigenverantwortung der Kund*innen fördern
Ressourcen der Kund*innen im Blick
Ressourcen der Kund*innen Kunden erkennen
Transparenz im Vorgehen
Transparenz im Vorgehen schaffen
Verbindlichkeit
Handlungsschritte vereinbaren
Ergebnisorientierung
Ergebnis- und Zielorientierung realisieren
professionelle Nähe und Distanz schaffen
Die Modifizierung einiger Prinzipien zeigt, dass eine Akzentuierung auf eine beraterische Haltung vorgenommen wird. So werden z. B. die in § 15 SGB II und § 37 SGB III verankerten Abschlüsse von Eingliederungsvereinbarungen explizit von der Beratung abgegrenzt: „In den Fällen, in denen der Gesetzgeber eine Eingliederungsvereinbarung vorschreibt, können die Beratungsergebnisse hier einfließen, allerdings überschreitet der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung selbst die Handlungsform der Beratung, auch deren Überprüfung dient nicht mehr allein den genannten beraterischen Gesichtspunkten“ (Rübner & Weber 2021, S. 36). Während hier eine Distanzierung zum gesetzlichen Auftrag vorgenommen wird, greifen andere Prinzipien (z. B. das Fördern der Eigenverantwortung, das Respektieren von Diversität) gesetzliche Anforderungen auf. So soll gemäß § 1 SGB II mit der Grundsicherung die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gefördert werden und im § 29 SGB III wird eine geschlechtersensible Beratung vorgeschrieben. Diese wird in der BeKo um die Berücksichtigung weiterer Merkmale von Diversität (z. B. Migrationshintergründe) erweitert (vgl. ebd., S. 34). Die modifizierten Handlungsprinzipien dienen als Grundsätze für das Prozessmodell der BeKo.
- Das Prozessmodell gliedert die Beratungen in vier Phasen. In der Situationsanalyse (1.) erfolgt eine Verständigung über das Anliegen und die Klärung der aktuellen Handlungssituation der ratsuchenden Person (Präferenzen, Ressourcen, bisherige Aktivitäten, Hindernisse). In dieser Phase sind auch Eignungsfeststellungen oder Potenzialanalysen sowie das Profiling vorzunehmen. Im Anschluss erfolgt die Zielfindung (2.), um den weiteren Beratungsprozess zu strukturieren. Hierauf aufbauend sollen Lösungsstrategien (3.) unter Zuhilfenahme von lösungsorientierten Methoden, der Vermittlung von arbeitsmarkbezogenem Wissen, dem Anleiten zu selbstständiger Recherche sowie des Einsatzes von weiteren sogenannten gegenstandsbezogenen Hilfen (z. B. Weiterbildungsmaßnahmen) gemeinsam erarbeitet werden. Im Hinblick auf den gesetzlichen Auftrag kann hier eine Vervollständigung des Profilings oder die Erstellung der Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II und § 37 SGB III erfolgen. Die Phase der Prozessbegleitung (4.) trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beratungsprozesse sich häufig über mehrere Termine erstrecken und zentrale Aktivitäten (z. B. Qualifizierungen, Bewerbungen) außerhalb der Beratungen vollzogen werden. Diese Aktivitäten gilt es, zu begleiten und im Hinblick auf die Erreichung der festgelegten Teilziele zu evaluieren, um ggf. Neubewertungen vorzunehmen (vgl. Rübner 2021 & Weber, S. 42 ff.).
In der ersten Fassung der BeKo wurden zudem für die OEB und IBB Standardsequenzen formuliert. Diese wurden mit Rückgriff auf konversationsanalytische Studien als „immer wiederkehrende Aufgaben, Fragestellungen und Themen und die dafür erforderlichen Methoden und Techniken beschrieben“ (Rübner & Sprengard 2010, S. 39). Dass solche Standardisierungen in der aktuellen Fassung nicht mehr zu finden sind, stützt die These einer stärker „beraterischen“, fallorientierten Ausrichtung der Beratungen: „Standardisierungen sind in Beratungsprozessen nur begrenzt möglich oder sinnvoll“ (Rübner & Weber 2021, S. 26).
4.3 Merkmale und Rezeption der BeKo
In den Handlungsprinzipien wird insofern ein Beratungsschulen übergreifender Ansatz deutlich, als sich zur Beziehungsgestaltung klientenzentrierter oder im Hinblick auf Ressourcenorientierung systemischer Beratungsansätze bedient wird. Das Phasenmodell fußt hingegen auf systemischen, lösungsorientierten Ansätzen (vgl. Bamberger 2015), wobei gesetzliche Vorgaben aufgegriffen und für das Beratungshandeln im Kontext der BA operationalisiert werden.
Die Einführung der ersten Fassung der BeKo wurde in einer summativen Programmevaluation wissenschaftlich begleitet. Hierzu sind in sieben Agenturen Beratungen (n = 71) beobachtet und Interviews/schriftliche Befragungen (n = 278) u. a. mit Vermittlungsfachkräften, Teamleitungen, und BeKo-Trainer*innen geführt worden. Aus Sicht der Führungskräfte habe die BeKo dazu geführt, dass Beratungen in der BA aufgewertet wurden, da sich Vermittler*innen vor Einführung eher als Sachbearbeiter*innen gesehen haben und sich nun verstärkt als Berater*innen begreifen. Die BeKo habe auch dazu geführt, dass man den Kund*innen mit einer beraterischen Orientierung gegenübertrete und diese mehr Redeanteile haben. Es wird aber auch bemängelt, dass die Anforderungen der BeKo nicht in den zur Verfügung stehenden Zeitslots umsetzbar sind oder dass sie eher für die OEB als für die IBB geeignet seien. Einige Fachkräfte monieren, dass die Konzeption zu theorielastig sei. Es sind unterschiedliche Muster der Aneignung der BeKo rekonstruiert worden – ein fachlich-distanzierter, ein schwacher, selektiver und ein überzeugter Aneignungsmodus, wobei letzterer eher selten zu verzeichnen war (vgl. Bartelheimer et al. 2014, S. 25 f., 118 ff., 140 ff., 228 ff.).
5 Empirische Befunde und Forschungsperspektiven
Abschließend werden weitere Studien skizziert, die die Beratungen der BA nach Einführung der BeKo – auch vor dem Hintergrund ihrer (neuen) gesetzlichen Aufträge – analysiert haben, um exemplarische Forschungsperspektiven aufzuzeigen. In zwei Studien sind von Rübner Berufswahlberatungen für Personen unter 25 Jahren analysiert worden. In der ersten Studie wurden auf Basis qualitativer und quantitativer Inhaltsanalysen von Beratungsgesprächen und standardisierten Befragungen der Ratsuchenden zu ihrem Berufswahlstand Typen von Berufswahlberatungen und deren Passung zu den Ratsuchenden ermittelt (vgl. Rübner 2017). Es konnten drei Typen unterschieden werden: Bei dem Typ der „beruflichen Orientierungsberatungen“ (OB) stehen die Erarbeitung einer beruflichen Perspektive und die Entscheidungsfindung im Mittelpunkt, während bei den „integrationsorientierten beruflichen Beratungen“ (IB) insbesondere Fragen der Eingliederung in eine betriebliche Ausbildung und Förderfragen fokussiert werden. Der dritte Typus, die „berufliche Orientierung und Informationsberatung“, führt Fragestellungen der beiden anderen Typen zusammen (vgl. ebd., S. 478). Die Beratungstypen orientieren sich am jeweiligen Berufswahlstand der Ratsuchenden, da in den OB z. B. die Jugendlichen einen niedrigeren Berufswahlstand aufweisen als in den IB. So werden hier Berufswünsche und Personenmerkmale umfassender besprochen als bei den anderen Typen (vgl. ebd., S. 481).
In der zweiten Studie sind ebenfalls Berufswahlberatungen analysiert worden, um mittels explorativer Clusteranalyse Beratungsstile zu differenzieren (vgl. Rübner 2018). Mithilfe der in den Beratungen vorgefundenen Aktivitätsformen (z. B. Kongruenzbemühung, Reflexionsanregungen) und deren Ausprägung konnte zwischen einem „reflexiv-informierenden“ und einem „direktiv-informierenden Beratungsstil“ differenziert werden. Bei Ersterem nehmen personenbezogene Themen mehr Raum ein. Letztere sind dagegen durch das Aufzeigen von Integrationsstrategien geprägt. Im Unterschied zu den Typen differieren die Stile nicht nach den Beratungsanlässen oder den Ratsuchenden, sondern sind Präferenzen der Berater*innen geschuldet. Bei beiden Stilen nimmt die Vermittlung von Informationen insbesondere im Rahmen der Erarbeitung von Lösungsstrategien viel der Gesprächszeiten in Anspruch (vgl. ebd., S. 486 ff.).
Die Analysen zeigen auch, dass sich diese Beratungen am gesetzlichen Auftrag der beruflichen Orientierung und Vermittlung orientieren, dabei biografische Themen wie allgemeine Lebens- und Entwicklungsprobleme der Ratsuchenden eher vernachlässigen (vgl. Rübner 2017, S. 483). Die Durchführung einer Potenzialanalyse sowie die Anfertigung einer Eingliederungsvereinbarung, die nach § 37 SGB III festgelegt ist, wurde jedoch in den untersuchten Gesprächen nicht immer durchgeführt. So wäre eine Eingliederungsvereinbarung in 34 Fällen des Korpus rechtlich bindend gewesen, wurde aber in nur fünf Fällen ausgefüllt (vgl. ebd., S. 484). Dass gesetzliche Vorgaben nicht immer umgesetzt werden, zeigen auch Konversationsanalysen von Beratungen mit Personen unter 25 Jahren in den Jobcentern. So wird der gesetzlich verankerte genderneutrale Beratungsauftrag nicht immer umgesetzt, da zuweilen geschlechtsstereotypische Kategorisierungen (z. B. Erzieherin) von den Berater*innen verwendet werden (vgl. Böhringer et al. 2011, S. 100 ff.). Auch werden Sanktionierungen mitunter vermieden, da diese dem Arbeitsbündnis zwischen Berater*in und Kund*in im Weg stehen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sich die Mitarbeiter*innen der Jobcenter „trotz der scheinbaren Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelungen vielfältige Spielräume (verschaffen), um situations- und fallbezogen handlungsfähig zu bleiben“ (ebd., S. 248). Im Hinblick auf die BeKo wird auch deutlich, dass die Gespräche keinem einheitlichen Schema folgen und sich stark formalisierte Passagen über Rechtsfolgebelehrungen, Umsetzungen von Verwaltungsakten mit Beratung vermischen. Die Fachkräfte übernehmen dabei Rollen der Entscheider*innen, Helfer*innen und Berater*innen (vgl. ebd., S. 243). Bender und Brandl (vgl. 2017) sprechen im Hinblick auf Rollenauslegungen von einer „administrativ eingebundenen Professionalität“ (ebd., S. 84), die insbesondere durch die Einführung des Beratungscontrollings in der BA erschwert werde, da Kennzahlen wie Integrationsquoten aus Sicht der von ihnen befragten Fachkräfte den Kern der Beratungsarbeit nicht abbilden (vgl. ebd., S. 93 ff.).
Mit der oben angesprochenen Einführung des „Qualifizierungschancengesetzes“ wird Weiterbildungsberatung stärker als Aufgabe der BA verankert. Die wissenschaftliche Begleitung einer Pilotierung von Weiterbildungsberatungen in ausgewählten Arbeitsagenturen zeigte, dass sowohl die Erreichung von Personen, die nicht im Leistungsbezug stehen, als auch die Gestaltung der Beratungen vom regionalen Arbeitsmarkt und den organisationalen Selbstverständnissen der jeweiligen Arbeitsagenturen beeinflusst werden. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit werden mit den Weiterbildungsberatungen häufiger Arbeitslose erreicht, die Gespräche verfolgen hier stärker die organisationale Zielsetzung der Vermittlung in Arbeit und die Beratungen münden zu knapp 50 % darin, dass Ratsuchende an einer von der BA finanzierten Qualifizierung teilnehmen. In Standorten mit guter Arbeitsmarktlage erreicht man hingegen zu einem hohen Anteil Personen in Beschäftigungsverhältnissen, das Beratungsverständnis ist eher non-direktiv und die Berater*innen orientieren sich stärker an den Wünschen der Ratsuchenden. Es zeigte sich, dass eine starke Dominanz der institutionellen Zielsetzung der Arbeitsvermittlung problematisch für die Umsetzung von trägerübergreifenden Weiterbildungsberatungen ist (vgl. Fuchs et al. 2017, S. 337). Auch Studien im Kontext von Modellprojekten zur Qualifizierungsberatung verdeutlichen, dass es sich aufgrund der Intransparenz und der häufig unklaren Strukturen der Dienstleistung noch um ein wenig profiliertes Format handelt, von dessen Nutzen Betriebe noch zu überzeugen sind (vgl. Baderschneider et al. 2012, S. 70).
Um die (neuen) gesetzlichen Aufträge zu erfüllen, steht die BA u. E. insbesondere vor der Herausforderung, Adressat*innen für diese Beratungsformate zu erreichen und Fachkräfte einzusetzen, die die gesetzlichen Aufträge umsetzen können. Ein empirischer Zugang im Hinblick auf Weiterbildungsberatungen mit individuellem Fallbezug könnten Milieustudien sein, um milieusensible Ansprachen und Ansätze für die BA zu entwickeln (vgl. Tippelt 2013). Diese sind mit Untersuchungen zu den working stereotypes, den Adressat*innenkonstruktionen der Berater*innen in Beziehung zu setzen. Im Hinblick auf Qualifizierungsberatungen wird es notwendig, förderliche und hemmende Faktoren dieses immer noch wenig profilierten Formats zu explorieren. Ein empirischer Zugang eines laufenden Forschungsprojekts ist es, zum einen die Perspektive der Qualifizierungsberater*innen mit Befragungen von Unternehmen, die bereits das Angebot in Anspruch genommen haben, miteinander zu verschränken, um zentrale Input-, Prozess- und Outcome-Faktoren zu ermitteln (vgl. Freiling et al. 2021). Neben diesen Formatfragen sind zum anderen im Zuge der Coronapandemie Videoberatungen in der BA eingeführt worden, um dem gesetzlichen Beratungsauftrag auch in Phasen der Kontaktbeschränkung nachzukommen. Auch hier bedarf es weiterer Studien, die z. B. Prozesse von Videoberatungen in den Blick nehmen, um Gelingensbedingungen, Verläufe sowie Einflüsse der genutzten Devices zu analysieren und diese im Hinblick auf die BeKo zu konzeptualisieren.
Literatur
Baderschneider, A., Diller, F. & Döring, O. (2012). Qualifizierungsberatung auf dem Prüfstand: Status quo und Handlungsempfehlungen. In H. Loebe & E. Severing (Hrsg.), Qualifizierungsberatung in KMU. Förderung systematischer Personalentwicklung (S. 35–74). Bielefeld: W. Bertelsmann.
Baethge-Kinsky, V. et al. (2007). Neue soziale Dienstleistungen nach SGB II [IAB-Forschungsbericht 15].
Bamberger, G. G. (2015). Lösungsorientierte Beratung: Praxishandbuch (5. Aufl.). Weinheim: Beltz.
Bartelheimer, P. et al. (2014). Beratungskonzeption SGB III: Endbericht. Göttingen: Soziologisches Forschungsinstitut an der Universität Göttingen e. V. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-49777-2
Bender, G. & Brandl, S. (2017). Beschäftigungsorientierte Beratung im Spannungsfeld von Bürokratie und Professionalität. Zeitschrift für Sozialreform, 63(1), 75–101.
Böhringer, D., Karl, U., Müller, H., Schröer, W. & Wolff, S. (2012). Den Fall bearbeitbar halten. Gespräche in Jobcentern mit jungen Menschen. Opladen: Barbara Budrich.
Freiling, T., Stanik, T. & Moritz, R. (2021). Stand und Perspektiven der Qualifizierungsberatung in der Bundesagentur für Arbeit [interner Forschungsantrag]. Schwerin.
Fuchs P., Fuchs, S. & Hamann, S. (2017). Weiterbildungsberatung. Variationen in der Umsetzung eines neuen Dienstleistungsangebots der Bundesagentur für Arbeit. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 40(3), 321–338. https://www.die-bonn.de/zfw/32017/offenheit.pdf
Hielscher, V. & Ochs, P. (2009). Arbeitslose als Kunden? Beratungsgespräche in der Arbeitsvermittlung zwischen Druck und Dialog. Berlin: Edition Sigma.
Hofmann, B. et al. (2014). Beratung und Vermittlung von Arbeitslosen. Ein Literaturüberblick zu Ausgestaltung und Wirkung. Sozialer Fortschritt, 63(11), 276–285.
Rübner, M. (2017). Zwischen Berufswahl und beruflicher Eingliederung. Themenschwerpunkte und Gesprächstypen in der Berufsberatung. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 113(3), 461–489.
Rübner, M. (2018). Direktiv, reflexiv oder informativ? Beratungsstile in der Berufsberatung. Neue Praxis, 48(5), 478–495.
Rübner, M. & Sprengard, B. (2011). Handbuch für Berufsberaterinnen und Berufsberater. Beratungskonzeption der Bundesagentur für Arbeit. Band 1. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit.
Rübner, M. & Weber, P. (2021). Grundlagenpapier zur Weiterentwicklung der Beratungskonzeption der Bundesagentur für Arbeit (BeKo). Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit.
Schütz, H. et al. (2011). Vermittlung und Beratung in der Praxis. Eine Analyse von Dienstleistungsprozessen am Arbeitsmarkt. Bielefeld: W. Bertelsmann.
Tippelt, R. (2013). Lebenswelt und Lebenslagen – Der Nutzen empirischer Milieuforschung für die Bildungsberatung. In M. Hammerer, I. Melter & E. Kanelutti-Chilas (Hrsg.), Zukunftsfeld Bildungs- und Berufsberatung. Teil 2: Das Gemeinsame in der Differenz finden (S. 71–82). Bielefeld: W. Bertelsmann.
Wolf, M. (2021). Schneller ist nicht immer besser: Sanktionen können sich längerfristig auf die Beschäftigungsqualität auswirken. IAB-Forum, 24. Juni 2021. https://www.iab-forum.de/schneller-ist-nicht-immer-besser-sanktionen-koennen-sich-laengerfristig-auf-die-beschaeftigungsqualitaet-auswirken/
Autoren
Clinton Enoch, Prof. Dr., Professor für Beratungswissenschaften an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA), Campus Schwerin.
Tim Stanik, Prof. Dr., Professor für Beratungswissenschaften an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA), Campus Schwerin.
Review
Dieser Beitrag wurde nach der qualitativen Prüfung durch das Peer-Review und die Redaktionskonferenz am 11.11.2021 zur Veröffentlichung angenommen.
This article was accepted for publication following a qualitative peer review at the editorial meeting on the 11th of November 2021.