Digitalisierung in der Erwachsenenbildung
Bildungsberatung in Beschäftigung und Weiterbildung im Kontext der Digitalisierung
Zusammenfassung
In dem Beitrag werden die Einflüsse der Digitalisierung auf Beratungen im Feld Beschäftigung und Weiterbildung reflektiert. Hierzu wird das systemische Kontextmodell arbeitsweltbezogener Beratung als Heuristik genutzt. Dies ermöglicht, Implikationen der digitalen Transformation auf der Ebene der Gesellschaft, der organisationalen Anbieter als Kontexte und der Kommunikationsprozesse als zentrale Handlungsform der Beratung zu skizzieren und diskutieren. Hieraus werden schließlich erste Überlegungen für die Professionalisierung und die Forschung von Online-Beratungsangeboten in der Weiterbildung abgeleitet.
Stichwörter: Online-Beratung, Digitalisierung, Mediatisierung, Digitale Bildungsberatung
Abstract
This paper reflects on the impact of digitisation on counselling in the field of employment and further education. For this purpose, the systemic context model of employment related counselling is used as a heuristic. This allows to outline and discuss implications of digital transformation on the level of society, of organisational providers as contexts and of communication processes as a central form of action of counselling. Finally, initial considerations for the professionalisation and research of online counselling services in continuing education are derived from this.
Keywords: Online Counseling, ICT, Online Career Guidance
1 Einleitung
Bildungsberatung in Beschäftigung und Weiterbildung (BiBuW) wird als zentrales Instrument zur Unterstützung des Lebenslangen Lernens entworfen, um „Individuen in allen Bildungs-, Berufs- und Beschäftigungsphasen ihres Lebens darin [zu] unterstützen, ihre Interessen, Fähigkeiten und Kompetenzen zu erkennen, Handlungsproblematiken zu bearbeiten und Entscheidungen zu treffen, um eigenverantwortlich ihre Bildungs- und Berufsbiografien zu gestalten“ (Schiersmann 2011, S. 429). Zudem werden ihr auch kompensatorische Funktionen zugeschrieben, wenn z. B. bildungsferne Zielgruppen im Fokus stehen oder sie Orientierungen über Strukturen des quartären Bildungssektors insgesamt bieten soll (vgl. Stanik 2015, S. 13 ff.). Vor dem Hintergrund der zentralen Bezugsfelder Beschäftigung und Weiterbildung sowie dem Umstand, dass Beratung eine kommunikative Intervention ist, kommt ihr im Zuge der Digitalisierung eine intermediäre Funktion zu und sie wird selbst zum Gegenstand von Digitalisierungsprozessen.
Um die Einflüsse der Digitalisierung auf BiBuW zu diskutieren, wäre es verkürzt, dies nur entlang inhaltlicher Formate (z. B. Lern-, Kompetenzentwicklungsberatung) oder der jeweiligen digitalen Kommunikationsmedien (z. B. Mail, (Video-) Chat) zu tun. Unter der Prämisse, dass die Digitalisierung einen übergreifenden Transformationsprozess in Gang gesetzt hat – mit Implikationen für die Gesellschaft, die Organisationen und die Kommunikation –, sind diese mehrebenenanalytisch auch für die BiBuW zu berücksichtigen. Hierfür liefert das systemische Kontextmodell arbeitsweltbezogener Beratung mit seinen drei Ebenen eine Heuristik. Die erste Ebene umfasst das professionelle Beratungssystem, das sich durch Kommunikation von zwei psychischen Systemen (Ratsuchenden-, Beratendensystem), mit ihren (professionellen) Kompetenzen, (Lern-)Biografien, Lebenssituationen etc. konstituiert. Auf der zweiten Ebene nehmen die Beratungsanbieter als organisationale Kontexte Einfluss auf das Beratungssystem, indem z. B. Zielgruppen oder Beratungszeiten festgelegt werden. Die Struktur des Berufs- und Bildungssystems oder Finanzierungsmöglichkeiten beeinflussen als gesellschaftliche Kontexte die Strukturen der organisationalen Beratungsanbieter sowie die im Beratungssystem verhandelten Berufs- und Weiterbildungsmöglichkeiten (vgl. Schiersmann 2010, S. 753 ff.).
2 Digitalisierung im Kontext
In der Folge wird das Kontextmodell genutzt, um auf den drei Ebenen für die BiBuW relevante Digitalisierungstendenzen zu skizzieren und zu reflektieren.
2.1 Digitalisierung und gesellschaftlicher Beratungskontext
Über 90 % der bundesdeutschen Bevölkerung sind mittlerweile gelegentlich und 77 % täglich im Internet, wobei sich der altersbedingte „digital-gap“ zunehmend schließt. Die tägliche Nutzungsdauer umfasst über drei Stunden, von denen knapp die Hälfte auf Individualkommunikation entfällt (vgl. Frees/Koch 2019, S. 399 ff.). Dabei sind Einstellungen gegenüber dem Internet und digitale Teilhabechancen1 milieuspezifisch. Da sich sogenannte internetferne Milieus überwiegend aus Personen mit niedrigen Einkommen und Bildungsabschlüssen zusammensetzen, korrespondieren schlechtere gesellschaftliche auch mit schlechteren digitalen Teilhabechancen (vgl. DIVSI 2016, S. 31 f.; S. 76 ff.). Auch die Internetnutzung zur Wissensaneignung reproduziert bekannte Disparitäten der Weiterbildungsbeteiligung (vgl. Schmid u. a. 2018, S. 16 ff.).
Dass die Digitalisierung Auswirkungen auf das Beschäftigungssystem haben wird, ist mittlerweile unstrittig. Wie eine Studie des IAB zeigt, wird die Digitalisierung alle Branchen und Berufe beeinflussen. Nur 28 % der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten arbeiten aktuell in einem Beruf, der mittelfristig niedrige Substituierbarkeitspotenziale2 durch neue Technologien aufweist (vgl. Dengler/Matthes 2018, S. 7). Gleichwohl scheinen die Auswirkungen auf das gesamtdeutsche Beschäftigungsniveau aufgrund neuer Beschäftigungsverhältnisse eher gering auszufallen. Dabei werden jedoch branchenspezifische Unterschiede erwartet, die z. B. fertigungsbezogene Berufe stärker negativ betreffen werden (vgl. Zika u. a. 2018, S. 2 f.). Beachtenswert ist, dass nicht nur Helfer- und Fach-, sondern auch Spezialisten- und Expertenberufe mit einem Anteil von 40 % bzw. von 24 % Tätigkeiten aufweisen, die digital ersetzbar sind (vgl. Dengler/Matthes 2018, S. 1).
Wenn BiBuW ihre gesellschaftspolitisch zugeschriebenen Funktionen einlösen will, muss sie sich der digitalen Lebenswirklichkeiten ihrer Adressat*innen annehmen. Beratende sind aufgefordert, „nicht länger das Gespräch als ihr zentrales Medium anzusehen, sondern ihr Beratungsverständnis generell auf Kommunikation hin [zu] erweitern“ (Wenzel 2013a, S. 228). Auf Grund der milieuspezifischen, ungleichen digitalen Teilhabechancen unterliegen Online-Beratungen jedoch der Gefahr, soziale Disparitäten digital zu reproduzieren. Mit Personen in Spezialisten- und Expertenberufen mit hohen Substituierbarkeitspotenzialen treten neue Zielgruppen auf, für die es spezifischer Ansätze bedarf. Zudem werden die Digitalisierung von beruflichen Tätigkeiten sowie die digitalisierten Bildungsmöglichkeiten die BiBuW beeinflussen. Erstere erfordern Wissen über die sich verändernden Berufs- und Tätigkeitsbilder. Für Letztere werden z. B. neue Formen digitaler Lernberatung notwendig, die Lernprozesse mithilfe digitaler Medien beratend begleiten, oder neue Formen von Kompetenzbilanzierungsberatungen, die es ermöglichen, digital angeeignete Kompetenzen zu validieren.
2.2 Digitalisierung und organisationaler Kontext
Forschungen zur Digitalisierung in der Weiterbildung haben zwar in den letzten zehn Jahren zugenommen, allerdings nehmen noch wenige Studien systematisch eine organisationale Perspektive in den Blick. Vielmehr stehen Fragen im Vordergrund, inwiefern digitale Medien Lernen effektiver und effizienter machen oder, inwiefern benachteiligte Zielgruppen für eine Teilnahme an Weiterbildung aktiviert werden können (vgl. Bernhard-Skala 2019, S. 180 f.).
Zu den organisationalen Aufgaben in der BiBuW gehört es, festzulegen, wie und welche Informationen für Adressat*innen bereitzustehen haben (z. B. Bestimmungen des Datenschutzes, Antwortfristen), zu bestimmen, welchen Umfang Online-Beratungsangebote haben (z. B. Anzahl und Länge von Mails, Dauer von Chats) sowie schließlich, wie diese technisch zu administrieren sind (vgl. Göllner 2016, S. 6 ff.).
BiBuW wird durch unterschiedliche Organisationen angeboten (kommerziell bzw. öffentlich teil-/finanzierte), die aufgrund der Digitalisierung alle vor strategischen und operativen Herausforderungen stehen. Chancen ergeben sich in der erhöhten Sichtbarkeit und einer verbesserten Zugänglichkeit, z. B. in ländlichen Regionen (vgl. Schmid u. a. 2018, S. 40 ff.). So konnten 15 % der erwachsenen Bevölkerung im Jahr 2016 ihren Bedarf bezüglich Beratungsfragen zu Weiterbildung nicht realisieren (vgl. Käpplinger 2020, S. 19). Insgesamt fehlt es jedoch an systematischen Einbindungen digitaler Technologien. Operative Herausforderungen existieren bezüglich der professionellen Betreuung der digitalen Infrastruktur, der Qualifizierung des Personals wie auch den Kosten für Ausstattung und mögliche Allokationssteigerungen bei den Lehrenden (vgl. Bernhard-Skala 2019, S. 183; Schmid u. a. 2018, S. 47).
Eine weitere Anforderung stellt die Verbindung der Beratungsangebote mit Social media-Aktivitäten dar. Kettunen u. a. (2015, S. 277 ff.) zeigen, dass eine systematische Nutzung von Social-media Beratungsangebote sichtbarer machen und Zugänge erleichtern. Damit sind jedoch Formatentwicklungen verbunden, um Social media als neue Arenen zu nutzen, in denen sich BiBuW als Informationen teilendes sowie durch Beratende, Ratsuchende und Peers konstituiertes Format entfalten kann. Dies erfordert einen Kulturwandel, damit sich Beratende weniger als Expert*innen, sondern als „facilitator“ oder als aktive Teilnehmer*innen an gemeinschaftlichen Auseinandersetzungen engagieren, um Angebotsformen der BiBuW stärker nachfrageorientiert zu gestalten. Zudem wird es notwendig, „aktuelle Trends hinsichtlich der Nutzung neuer Dienste und Geräteklassen nicht nur nachfolgend mitzutragen […], sondern aktiv in konzeptionelle Weiterentwicklungsprozesse einzubringen“ (Weinhardt 2013, S. 6).
2.3 Digitalisierung und Beratungssystem
Wenn Beratungen mithilfe digitaler Medien vollzogen werden, ändern sich nicht nur die Übermittlungskanäle, sondern es konstituieren sich neue „sozio-technische Systeme“ (Döring 2013, S. 424). Online-Beratungen kennzeichnet, dass hiermit entkontextualisierte und (pseudo)anonyme Beratungen möglich werden (vgl. Engelhard 2018, S. 51). Nicht mehr auf Öffnungszeiten oder auf örtliche Erreichbarkeiten der Beratungsorganisationen angewiesen zu sein, stellt eine „äußere Niederschwelligkeit“ dar (Knatz 2009, S. 61 f.). Auch wenn sich Ratsuchende z. B. von ihrem Wohnzimmer aus in vertrauter Umgebung beraten lassen können, geben physische (Beratungs-)Räume mit ihren symbolisch-institutionellen und materiell-infrastrukturellen Dimensionen dennoch Verhaltenssicherheiten und erleichtern über körperliche Positionierungen Rollenklarheiten (vgl. Kraus 2010, S. 48 f.).
Online-Beratungen weisen zudem eine „innere Niederschwelligkeit“ (Knatz 2009, S. 61) auf, da Ratsuchende sich nicht den Dynamiken einer Face-to-Face-Interaktion aussetzen müssen (vgl. Hintenberger/Kühne 2009). Insbesondere asynchrone Formate (Mail-, Forenberatung) weisen einen höheren Grad an Selbstbestimmung für Ratsuchende auf, zu entscheiden, was sie wann von sich preisgeben wollen. Vor dem Hintergrund, dass für erfolgreiche Beratungsprozesse vertrauensvolle Beziehungen unerlässlich sind, wird das Zugangsprinzip „Easy in – easy out“ (Engel 2019, S. 25) der Online-Beratung, ebenso wie deren potenzielle Kanalreduzierung, häufig als problematisch gesehen. In schriftlicher, digitaler Kommunikation fehlen soziale Hinweisreize oder parasprachliche Merkmale (vgl. Döring 2003, S. 149 f.). Dies birgt jedoch auch Chancen für vorurteilsfreie Kommunikationsprozesse und kann durch die Nutzung von Emoticons, Flamings etc. kompensiert werden. Auch können Schreibprozesse zu neuen Perspektiven der Ratsuchenden auf ihre Anliegen führen oder zu einer Fokussierung beitragen (vgl. Vogt 2007). Zugleich stellt die Schriftlichkeit für Menschen mit geringen schriftsprachlichen Kompetenzen eine neue Zugangsbarriere dar.
Hinsichtlich vielfältiger Informationsmöglichkeiten bewirkt die Digitalisierung auch, dass sich Ratsuchende immer häufiger mithilfe des Internets über Beratungsmöglichkeiten informieren und/oder hierüber ihre Anfragen initiieren, auch wenn dies nicht ausdrücklich als Online-Angebot formuliert wird (vgl. Wenzel 2013b). Auch wird die Nutzung von und die Vermittlung des Umgangs mit digitalen Informationstechnologien Gegenstand von Face-to-Face-Beratungen. Beratende vermitteln, wie Kurs- und Berufsdatenbanken strukturiert und wie diese zu nutzen sind (vgl. Stanik 2015, S. 379). Vor dem Hintergrund der in der PIAAC-Studie festgestellten gering ausgeprägten technologiebasierten Problemlösekompetenz (Zabal u. a. 2012, S. 70) übernimmt hier Beratung eine neue kompensatorische Funktion.
Während viele Studien Interaktionen von BiBuW untersucht haben, fehlen entsprechende Analysen von Online-Beratungen noch weitgehend. In einer eigenen explorativen, qualitativen Korrespondenzanalyse von 30 mailbasierten BiBuW konnten verschiedene Modi der Bearbeitung rekonstruiert werden: In den delegierenden Modi gehen Beratende inhaltlich nicht auf die vorgebrachten Anliegen der Ratsuchenden ein, sondern sie verweisen die Ratsuchenden inter-institutionell, z. B. an die Industrie- und Handelskammern oder an die Agenturen für Arbeit, wenn Fragen zu konkreten Umschulungen gestellt werden oder sich arbeitslose Personen nach Fördermöglichkeiten erkundigen. Auch wird den Ratsuchenden unvermittelt eine Face-to-Face-Beratung nahegelegt, wenn Anliegen offensichtlich als zu komplex von den Beratenden eingeschätzt werden. Im Modus Komplexität reduzierend werden nur Informationsfragen beantwortet, wohingegen der Modus Komplexität annehmend dadurch charakterisiert ist, dass z. B. gewünschte Weiterbildungen oder Berufswechsel mithilfe von Rückfragen als Lösungswege infrage gestellt werden. Die Modi zeigen, dass einerseits professionelle Zuständigkeiten und Grenzen des Formats durch die Beratenden gewahrt bleiben, andererseits werden Chancen der „Niederschwelligkeit“ möglicherweise vorschnell vertan (vgl. Stanik/Maier-Gutheil 2018).
3 Konsequenzen für Professionalisierung und Forschung
Da Anlässe von BiBuW häufig aus Wechselwirkungen individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Entwicklungen entstehen, erfordern diese Interferenzen im Kontext der Digitalisierung auch erweiterte Beratungskompetenzen. Vom Nationalen Forum für Beratung sind entlang des systemischen Kontextmodells arbeitsweltbezogener Beratung 17 Kompetenzfacetten differenziert worden, wobei in keiner die Digitalisierung explizit berücksichtigt wurde (vgl. Petersen u. a. 2014). Dies ist jedoch aufgrund der Digitalisierung von Beratungsangeboten3 und der digitalen Transformationen geboten.
Legt man nur die in dem Artikel kursorisch herangezogenen Studien zugrunde, lassen sich hieraus bereits erste Anforderungen skizzieren: Im Kontext systemumfassender Kompetenzen bedarf es eines beraterischen Selbstverständnisses, das digitale Beratungsmedien einschließt. Erste von uns durchgeführte explorative Interviews mit Fachkräften der BiBuW zeigen, dass Online-Beratungen häufig noch als „unechte Beratungen“ oder als Surrogate abgewertet werden. So seien insbesondere komplexe Anliegen nicht mithilfe asynchroner Online-Beratungen bearbeitbar, da direkte Rückfragen nicht möglich sind und die Rezeption der schriftlichen Antworten intransparent bleibe. Bei informativen Anliegen sei dagegen der zeitliche Aufwand viel größer als bei Face-to-Face-Beratungen. Es bedarf u. E. Wissen über die Spezifika von digitalen Beratungsangeboten, deren Potenziale und Einschränkungen. Dabei kann es nicht mehr um ein Entweder – Oder solcher Formate gehen – gefragt sind stattdessen deren angemessener Einsatz oder deren Verknüpfungen als blended-guidance. Barnes u. a. (2010, S. 28) stellen unter anderem heraus, dass Beratende in der Lage sein müssten, digitale Beratungsmedien zu kombinieren, um die Informations- und Lernbedürfnisse der Ratsuchenden erfüllen zu können.
Auf der gesellschaftlichen Ebene müssen Beratende die Veränderungen der relevanten Bezugssysteme (Beruf, Weiterbildung) im Zuge der Digitalisierung in ihren Beratungen berücksichtigen und diese für Ratsuchende aufbereiten. Da pädagogische Beratungen sich als eine „übergangsrelevante Praxisform“ (Bauer 2020, S. 256) mit emanzipatorischen Ansprüchen charakterisieren lassen, sind Beratende auch dazu angehalten, die (berufs-)biografischen Auswirkungen der Digitalisierung Ratsuchenden reflexiv zugänglich zu machen, damit diese sich nicht als Spielbälle, sondern als handelnde Akteure in bzw. der gesellschaftlichen Digitalisierungsprozesse(n) wahrnehmen können. Für organisationsbezogene Kompetenzen folgt, dass das formatbezogene sowie technische Wissen auch hinsichtlich von Bereitstellung und Pflege der digitalen Beratungsinfrastruktur vorhanden sein muss und die Weiterqualifizierung des Personals in diesem Bereich als systematische Aufgabe zu implementieren ist. Dazu sollten die Anbieter klären, wie Online-Beratungen in bestehende Strukturen zu integrieren sind (vgl. Kühne 2016, S. 812).
Mit Blick auf prozessbezogene Kompetenzen sind insbesondere für schriftbasierte, digitale Beratungsformate professionelle Lese- und Schreibkompetenzen notwendig, um leser*innenorientiert an Vorwissen und Wortschatz der Ratsuchenden anschließend formulieren zu können (vgl. Becker-Mrotzek/Schindler 2007, S. 14).
Wie angemerkt, fehlt es an Studien über digitale BiBuW. Neben Kommunikationsanalysen sind Analysen der Nutzer*innen oder der Wirkungen von Online-Beratungen notwendig (vgl. Käpplinger u. a. 2014), um bereichsspezifische, digitale Angebote und Beratungskonzepte zu entwickeln. Nutzer*innenbefragungen von psychosozialen Online-Beratungen zeigten ähnlich hohe Zufriedenheiten wie mit Face-to-Face-Beratungen, wobei die Vertrautheit der Ratsuchenden mit den Medien auch einen Einfluss auf die Akzeptanz als Beratungsmedium zu haben scheint (vgl. Mallen et al. 2004).
Mit dem „Vier-Folien-Konzept“ (Knatz 2009) oder dem 14-Schritte-Programm (Ploil 2009) existieren zwar deutschsprachige Ansätze zu asynchronen Beratungskommunikation, die jedoch im Kontext psychosozialer Online-Beratung entstanden sind. Auch wäre zu untersuchen, inwiefern sich die Funktion der Vermittlung von Wissen in Face-to-Face-Beratungen (vgl. Enoch 2011) aufgrund digitaler Wissensressourcen verändert. Ein Weg könnte auch die im europäischen Kontext auf Internetplattformen berufsbezogener Beratung zunehmend genutzte Kombination digitaler Self-Assessments und digital abrufbarer Arbeitsmarktinformationen mit Online- und Face-to-Face-Beratungen sein (vgl. Cedefop 2018).
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Autor und Autorin
Tim Stanik, Dr., Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Erwachsenenbildung/Weiterbildung, Eberhard Karls Universität Tübingen.
Cornelia Maier-Gutheil, Prof. Dr., Professorin für Psychosoziale Beratung an der Evangelischen Hochschule Darmstadt.
Review
Dieser Beitrag wurde nach der qualitativen Prüfung durch das Peer-Review und die Redaktionskonferenz am 14.05.2020 zur Veröffentlichung angenommen.
This article was accepted for publication following a qualitative peer review at the editorial meeting on the 14th May 2020.
Digitale Teilhabe wurde mit Hilfe des Wunsches der Teilhabe, an dem, was im Internet geschieht und des subjektiven Empfindens, inwiefern man sich hinreichend souverän im Umgang mit dem Internet empfindet, erhoben (vgl. DIVSI 2016, S. 76 f.).
Das Substituierbarkeitspotenzial eines Berufs gilt als hoch, wenn bis zu 30 % der Anteil der Tätigkeiten, durch computergesteuerte Maschinen erledigt werden könnten (vgl. Dengler/Matthes 2018, S. 7).
In Niedersachen (https://bbnds.beranet.info/ueber-uns.html) und in Baden-Württemberg (https://www.lnwbb.de/beratungsangebot/) werden Mail- und/oder Chatberatungen zentral angeboten.